Berge zu bezwingen

Wolken-Berglandschaft von Kala Patthar aus, links der Mount Everest
Wolken-Berglandschaft von Kala Patthar aus, links der Mount Everest
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Ein Jahr Nepal

Mein nepalesisches Schriftbild hat sich im Laufe der vergangenen Monate gewaltig verändert.
Mein nepalesisches Schriftbild hat sich im Laufe der vergangenen Monate gewaltig verändert.
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Das Fest der Farben

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Winter in Kathmandu

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Max

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Tihar

Ich in festlicher Kleidung, Janak als, öh, Dekra-Gangster :)
Ich in festlicher Kleidung, Janak als, öh, Dekra-Gangster :)
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Dashain

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सल्लेबास (Sallebaash)

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Party(s)

Das Teej-Festprogramm an der Schule – hier mit Sujol, Bijesh, Hiralal und Aashirwaad
Das Teej-Festprogramm an der Schule – hier mit Sujol, Bijesh, Hiralal und Aashirwaad
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Ben Uncles Tag

Der offizielle Nachweis meines Studentendaseins: Nun brauche ich im Micro nur noch 10 Rupien zahlen statt 15 oder 20 (je nach Strecke), also umgerechnet knappe 8 Cent. Der Stempel in meinem Gesicht sieht auch einfach herrlich aus, wie lila Regenbogenrotz.
Der offizielle Nachweis meines Studentendaseins: Nun brauche ich im Micro nur noch 10 Rupien zahlen statt 15 oder 20 (je nach Strecke), also umgerechnet knappe 8 Cent. Der Stempel in meinem Gesicht sieht auch einfach herrlich aus, wie lila Regenbogenrotz.
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Zahnarzt

Dr. Ast geht sehr einfühlsam auf die Kinder ein. Es ist auch kein Problem, dass der Behandlungsraum mit ein paar Zuschauern gefüllt ist.
Dr. Ast geht sehr einfühlsam auf die Kinder ein. Es ist auch kein Problem, dass der Behandlungsraum mit ein paar Zuschauern gefüllt ist.
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Umschwung

Erstes gemeinsames Abendessen auswärts mit den neuen Praktikanten.
Erstes gemeinsames Abendessen auswärts mit den neuen Praktikanten.
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College. Und, äh, Krankenhaus.

Der Bishwa-Bhasa-Campus. Eines der Gebäude gilt wohl als Neubau. Ich sag einfach weißes ranziges Gebäude und rotes ranziges Gebäude …
Der Bishwa-Bhasa-Campus. Eines der Gebäude gilt wohl als Neubau. Ich sag einfach weißes ranziges Gebäude und rotes ranziges Gebäude …
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Update: Ich lebe

Navaraj, Sudeep, Subash, Prakash, Umesh, Ashok
Navaraj, Sudeep, Subash, Prakash, Umesh, Ashok
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In ein Haus, in dem die Freude lebt …

Von der Dachterrasse des neuen Hauses hat man einen herrlichen Ausblick auf Kathmandu.
Von der Dachterrasse des neuen Hauses hat man einen herrlichen Ausblick auf Kathmandu.
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Ab in die Natur

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Parents’ Day

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Ein Jahr danach

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Veränderungen

Meet Prakriti! Ist die Kleine nicht einfach zuckersüß? Seit ein paar Tagen ist sie bei uns; ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen, innerhalb von Sekunden integriert. Dazu beigetragen hat sicherlich, dass zwei der Kinder, die Geschwister Manisha und Manish (die Eltern waren bei der Namensgebung besonders kreativ), über einige Ecken mit ihr verwandt sind. Praktritis Vater ist vor langem abgehauen, sie lebte bislang bei der recht mittellosen Mutter. Obwohl sie echt schlau ist (und auch schon sehr gutes Englisch spricht), wurde sie von der Schule geschmissen – einfach nur, weil die Mutter das nötige Schulgeld für die Abschlussprüfungen nicht aufbringen konnte. Das wirklich Tragische ist leider, dass auch der Bruder der Mutter im Haushalt lebt, ein herrischer, gewalttätiger Mann, der das wehrlose Mädchen schlimm misshandelt hat. Wir hoffen von ganzem Herzen, dass kein Missbrauch stattgefunden hat, aber Prakriti wirkt glücklicherweise nicht traumatisiert und auch im Umgang mit Jungs und Männern nicht zurückhaltend oder verängstigt. Sie wurde nun in die 3. Klasse eingeschult und weiß bereits jetzt schon, dass sie einmal Ärztin werden will – das ist etwas ganz Neues, denn normalerweise wollen ja alle Mädchen Sängerin oder Schauspielerin werden, aber die hier hat schon ganz klare und keineswegs traumtänzerische Ziele vor Augen.

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Kathmandu Fun Park

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Benny’s back

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Abschied, aber nicht wirklich

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Sex Ed – Teil 2

Bevor es losgeht, gibt es Schnittchen mit echt deutschem Nutella – das Lukasʼ Schwester Anna vor etlichen Wochen mitbrachte, mir Lukas vor seiner Abreise freundlicherweise überließ und das nur auf eine besondere Gelegenheit wie diese gewartet hat. :)
Bevor es losgeht, gibt es Schnittchen mit echt deutschem Nutella – das Lukasʼ Schwester Anna vor etlichen Wochen mitbrachte, mir Lukas vor seiner Abreise freundlicherweise überließ und das nur auf eine besondere Gelegenheit wie diese gewartet hat. :)
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Massen-Papi

Gebannt lauschen die Kids Navaraj, der ihnen detailliert vom neuesten Bollywood-Kassenschlager berichtet.
Gebannt lauschen die Kids Navaraj, der ihnen detailliert vom neuesten Bollywood-Kassenschlager berichtet.
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Sex Ed – Teil 1

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All by myself

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Ich drücke die Schulbank

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Nachwuchs

Subash und sein kleiner Bruder Sagar sind die neuesten „brothers“ in Gongabu.
Subash und sein kleiner Bruder Sagar sind die neuesten „brothers“ in Gongabu.
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Episoden

Es ist vergleichsweise viel Zeit seit dem letzten Eintrag vergangen. Das liegt nicht daran, dass ich keinen Bock oder keine Zeit hatte, aber nachdem die Kids wieder zur Schule gehen, war in den meisten Fällen eine Facebook-Statusmeldung ausreichend, um kundzutun, was uns volunteers derzeit beschäftigt. Den heutigen Blog-Eintrag widme ich daher auch nicht einem Thema, sondern würfle ein paar Eindrücke durcheinander. Ein kleiner Episodenfilm ohne nähere Zusammenhänge, der sich mal ein bisschen von der Arbeit mit den Kids entfernt.

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We Are The World

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Gorkha

Ein glücklicher Dorfbewohner und ein glücklicher Helfer: Sanjeev bekommt als Ausdruck der Begrüßung und Dankbarkeit eine Blumenkette überreicht.
Ein glücklicher Dorfbewohner und ein glücklicher Helfer: Sanjeev bekommt als Ausdruck der Begrüßung und Dankbarkeit eine Blumenkette überreicht.
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Nuwakot Hung

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Innere Beben

Der neue Schlafplatz auf dem Sportplatz. Die Zelte rechts daneben und auch hinter dem Zaun gehören den Nachbarn, die auf unserem Grundstück Zuflucht gesucht haben.
Der neue Schlafplatz auf dem Sportplatz. Die Zelte rechts daneben und auch hinter dem Zaun gehören den Nachbarn, die auf unserem Grundstück Zuflucht gesucht haben.
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Ich hätte nie gedacht, …

… dass es jemals zur abendlichen Routine gehören würde, mir mit einer Hartplastikbürste im lauwarmen Laugenwasser die Füße zu schrubben, natürlich mit der Gewissheit, dass sie bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer wieder staubig werden.

… dass Restaurantbesuche jemals komisch für mich sein würden, weil ich es nicht mehr gewohnt bin, mit Besteck zu essen.

… dass es mir so leicht fallen würde, auf Filme und Serien zu verzichten.
… dass ich mir jemals mit 34 ein kleines Zimmer mit zwei fünfzehn Jahre jüngeren Jungs teilen würde, nur um festzustellen, dass es mir überhaupt nichts ausmacht.

… dass ich jemals eine ernsthafte Zuneigung zu einem Hund entwickeln würde.

… dass kalt duschen jedes Mal erneute Überwindung kostet, dann aber gar nicht sooo schlimm ist.

… dass ich jemals irgendjemandem Geometrie erklären muss. Und kann.

… dass ich jemals mit einem Haufen Jungs stundenlang Fadenspiele spielen würde, ohne dass mir langweilig wird oder ich es in irgendeiner Hinsicht affig finde.

… dass ich jemals im Essen einen kompletten Hühnerkopf und Hühnerfuß vorfinden würde, nur um festzustellen, dass Hühnerkamm eigentlich ziemlich zart und schmackhaft ist.

… dass der härteste Steinboden bequemer ist als jede noch so exquisite Matratze, wenn sich von jeder Seite liebevolle Kinder an einen kuscheln.

… dass ich in einem Gottesdienst kein einziges Wort verstehe und trotzdem spüre, dass jedes gesagte Wort wahr ist.

… dass ein zartschmelzender Lindor-Schokoladenriegel, der seltsamerweise nicht überteuert ist, einem das Gefühl gibt, dass sich gleich der Himmel öffnet und man im Bruchteil einer Sekunde erhöht werden wird.

… dass der Roman zwar spannend ist, ich aber trotzdem um 20:30 Uhr das Licht ausknipse, einfach weil ich mich so sehr auf meinen Schlaf freue.
… dass der Hintern jemals aufhören würde zu brennen.

… dass ich jemals einen Granatapfel aufbrechen würde, indem ich einfach reinbeiße und ohne Rücksicht auf Farbtupfer die Kerne rausfresse.

… dass mir der Granatapfelsaft, der aus den Kernen tritt, die Haut unter den ohnehin schon schmutzigen Fingernägeln so schwarz färben würde, dass ich zwar täglich schrubbe, mich aber damit abfinde, nun endgültig zur Sorte Mann mit dreckigen Fingern zu gehören.

… dass es am Ende des Tages kaum ein schöneres Gefühl gibt, als zwanzig Jungs einen Kuss auf die Stirn zu drücken und sich bereits darauf zu freuen, sie am nächsten Tag wiederzusehen.

… dass ich jemals denken würde, Waschmaschinen seien überbewertet.

… dass ich erkennen würde, dass Flecken in den Klamotten eigentlich nicht dramatisch sind und ich dankbar sein sollte, aus fünf verschiedenen T-Shirts auswählen zu können.

… dass ich mir vorstellen würde, wie meine Mama irgendwo in sich hineingrinst, weil ich mit Halbwüchsigen Scrabble und Solitär spiele.

… dass sich mein Körper derart an das Gefühl von Erdbeben gewöhnen würde, dass ich sie nicht mehr wahrnehme und abends verwundert erfahre, es habe tagsüber acht Nachbeben gegeben.

… dass Kakerlaken jemals Gleichgültigkeit bei mir auslösen würden.

… dass ich mich so sehr an nächtliches Hundegekläffe und Hahnengeschrei gewöhnen würde, dass ich ohne Ohrenstöpsel tief und fest durchschlafen kann.

… dass ein leicht durchschaubarer Kartentrick auch nach einer halben Stunde noch nicht langweilig ist, wenn der Zauberkünstler so enthusiastisch dabei ist.

… dass ich im Badminton von Achtjährigen haushoch besiegt werden würde.

… dass die Nachricht, das OR2K habe den Mushroom Burger von der Speisekarte genommen, hilflose volunteers an den Rand der Verzweiflung stürzen würde.

… dass ich eine Stunde damit zubringen würde, zehn Jungen zuzuschauen, wie sie einen Ball in den Basketballkorb werfen, beginnend mit dem Ausruf: „Benny Uncle, look, look!“, und endend mit einem „Awesome job!“ oder „Ah, almost! Next time youʼll make it!“

… dass mich jemals acht Kids unabhängig voneinander darum bitten würden, dass ich ihnen den Text von „Do you want to build a snowman?“ diktiere, damit sie ihn auswendig lernen können.

… dass ich regelmäßig morgens von ein paar Mädchen mit den Worten begrüßt werden würde: „Uncle, can you sing ‚Do you want to build a snowman‘ for us?“

… dass mir einmal schlagartig bewusst werden würde, dass es auf dieser Welt Kinder gibt, die noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen haben. Und noch nie einen Schneemann gebaut haben.

… dass es jeden Tag erhellt, gemeinsam „Do you want to build a snowman?“ zu singen.

… dass es kein Leid gibt, das ein paar Double Stuffed Oreos nicht beschwichtigen können.

… dass ich zwei streitende Jungs nur auseinanderbringen würde, indem ich ihnen androhe, ihre Köpfe nacheinander ins Klo zu tunken, woraufhin sie lachen müssen.

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Rückkehr zur Normalität

Mittagessen im Himalayan Java (Nadine und Louisa werden schmerzlich vermisst)
Mittagessen im Himalayan Java (Nadine und Louisa werden schmerzlich vermisst)
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Endlich vereint

„The sweetness of reunion is the joy of heaven.“ – Richard Paul Evans


Der Wecker klingelt um Viertel nach vier. Ich unterdrücke ein Ächzen, denn ringsum mich pennen schließlich noch an die zwanzig Jungs, die mit mir heute Nacht im Essensraum übernachtet haben. Hintern und Hüfte schmerzen vom harten Boden, aber ich habe nicht gefroren und sogar relativ gut geschlafen. Es werden nur Zähne geputzt und Klamotten übergestülpt, ehe ich mit Louisa zum Tor gehe. Navaraj hat zu halb fünf ein Taxi bestellt – was bedeutet, dass eventuell in der kommenden halben Stunde eines auftauchen wird, vielleicht aber auch nicht. Wir warten zwanzig Minuten, ehe wir runter zur Straße laufen, an der ring road einen Taxifahrer anhalten und uns zum Flughafen fahren lassen.

 

Wir haben gestern mit Durga gesprochen – er leitet mit Gocool das Trekkingbüro. Von ihm kam vor einigen Tagen auch die Nachricht, Nadine und alle von der Truppe seien in Sicherheit, nur um tags drauf hinzuzufügen, drei würden vermisst werden. Leider ist das eine nepalesische Unart: Über solche schwierigen Themen wird nicht gesprochen. Man würde ja jemanden verletzen. Also werden solche Nachrichten verschwiegen und können nur schwerlich herausgekitzelt werden. Immerhin haben wir erfahren, dass Nadine, ihre beiden Brüder, die Freundin des einen Bruders sowie der verbliebene Porter sich im 70 Km entfernten Dhunche befinden und mit den ersten Helikoptern zwischen halb sechs und sechs nach Kathmandu eingeflogen werden.

 

Wir lassen uns am domestic-Bereich des Flughafens absetzen. Zum ersten Mal erlebe ich nun die nepalesische Unorganisiertheit am eigenen Leibe. Niemand kann uns sagen, wohin wir eigentlich müssen. Jeder, den wir fragen, zuckt mit den Schultern, schickt uns an einen Ort, wo wir schon waren, oder in Bereiche, die es gar nicht gibt. Etwas verzweifelt verlassen wir das Gebäude, das übrigens einer fast verfallenen riesigen Fabrikhalle ähnelt. Es fängt an zu regnen, und zwar in Strömen. Wir laufen im Außenbereich die Mauer entlang, bis wir zu einem großen Tor kommen, hinter dem eine Frau in Militäruniform steht. Auch sie fragen wir. Sie bringt uns hinter das Tor in einen vom Regen geschützten Bereich und holt einen Kollegen dazu, der zuerst Louisa mitnimmt (weil nur einer mitdarf), mich dann jedoch auch kurze Zeit später abholt. Nun sitzen wir direkt am Flugfeld in einem kleinen Militärkabuff. Uns wird versichert, dass jedes Luftfahrzeug, ob nun privat, Militär oder Fluggesellschaft, hier gemeldet werden muss. Das heißt, wenn ein Rettungshelikopter aus Dhunche eintrifft, können sie uns sofort informieren. Nur ist bei dem derzeitigen Wetter nicht zu erwarten, dass die Helikopter überhaupt fliegen. Louisa und ich nehmen in einem kleinen Raum Platz, und ich muss fast lachen, weil mir die ganze Situation vorkommt wie aus einem klischeehaften Film: In einem Büro sitzen die wichtigen Leute, im briefing-&-debriefing-Raum nebenan hängt eine riesige Landkarte von Nepal, vor der sich ein paar Soldaten tümmeln. Unser Warteraum ist voller alter, verstaubter Aktenordner. Ab und zu kommt jemand zu uns und befragt die beiden Weißen. Immer wieder werden die gleichen Fragen gestellt. Kaum einer versteht, was wir eigentlich wollen, bis auf eine kleine, stämmige Frau in Uniform (nicht die vom Tor) mit strenger Miene und knallroten Lippen, die uns jedoch freundlich versichert, unsere Freunde würden heute auf jeden Fall eintreffen. Irgendwann halt. Und als ob das alles nicht schon klischeehaft genug wäre, befindet sich mitten im Geschehen noch eine amerikanische Journalistin der Washington Post. Wir sitzen windgeschützt, aber mir ist trotzdem kalt. Draußen gießt es und will gar nicht mehr aufhören. Ich halte Kontakt mit den anderen, aber mein Akku näher sich jetzt schon dem Ende. Irgendwann ruft endlich Durga an, er sei jetzt gleich beim Flughafen. Es ist kurz vor sieben.  Leider wieder typisch: Uns sagt er, der Helikopter käme zwischen halb sechs und sechs, er selbst taucht um sieben auf. Wir warten also weiter, bis wir schließlich eine geschlagene Stunde später den Militärbereich verlassen und Durga auf dem Parkplatz suchen, wo wir ihn auch finden. Bei ihm ist Raj Kumar – er ist der jüngere Bruder von Gocool, der ja zu den Vermissten gehört, und der ältere Bruder von Dibisha, der ich in den vergangenen paar Wochen ab und an Nachhilfe in Englisch gegeben hab. Raj Kumar ist anzusehen, dass er sich um seinen Bruder kaum Hoffnungen macht, was auch Louisa, die die Familie sehr gut kennt, zutiefst mitnimmt. Wir erfahren von ihm auch, dass Dibisha ihren ältesten Bruder in Sicherheit wägt, weil Raj Kumar es bislang nicht fertig gebracht hat, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich rege mich innerlich ein wenig darüber auf, denn ewig wird er es ihr wohl nicht verheimlichen können, aber das ist eben auch keine Entscheidung, die ihm jemand von uns abnehmen darf. Durga erklärt, dass keine Helikopter fliegen werden, wenn sich das Wetter bis mittags nicht bessert. In diesem Fall müssten Nadine und Co. von Dhunche nach Kathmandu laufen – immerhin ein Fußmarsch von rund fünf, sechs Stunden. Ich überzeuge Louisa, dass wir zurück nach Dhapasi fahren und ein wenig zur Ruhe kommen. Sie ist aufgelöst und möchte am liebsten bei Raj Kumar bleiben, aber er und Durga haben alle Hände voll zu tun, und ich habe den Eindruck, dass die beiden sich gegenseitig in ihrer Ungewissheit und Angst in ihre Emotionen zu sehr hineinsteigern.

 

In Dhapasi tobt bereits das Leben, und wir lenken uns ab, indem wir Zeit mit den Kindern verbringen. Nabin informiert uns, dass sich Umesh auf dem Weg zur Besserung befindet und bereits feste Nahrung zu sich nimmt und aufstehen und herumgehen konnte. Er wird zur Beobachtung jedoch noch länger im Krankenhaus bleiben. Das geht ordentlich ins Geld, denn die Aufenthaltskosten sind (sogar für deutsche Verhältnisse) horrend. Aber mir ist ohnehin wichtiger, dass er wieder auf die Beine kommt und sich vollständig erholt. Mittags ruft Durga an – der Regen hat sich inzwischen gelegt, aber es fliegt trotzdem nichts. Er würde jetzt mit dem Auto nach Dhunche fahren und sie abholen. Für uns Deutsche klingen 70 Kilometer auch nach keiner argen Strecke, aber man darf das gar nicht vergleichen. Die Straßenverhältnisse sind so schlimm, dass man davon ausgehen kann, dass Durga nicht schneller als 15 oder 20 km/h fahren wird. Ich sage ihm deutlich, dass er sich sofort melden soll, wenn er bei Nadine ist, was er mir zusichert, auch wenn ich bei allem, was geschehen ist, meine Zweifel hab, ob er das auch wirklich hinbekommt.

 

Nachmittags taucht ein Überraschungsgast auf, Cécile Pelous, eine Französin, die eine ähnliche Einrichtung wie Ellen leitet. Sie war tatsächlich Gast im Horizon, als das Unglück geschah, und ist zu recht dankbar, dass sie noch am Leben ist. Navaraj, unser Leiter, ist einer ihrer Schützlinge, und freut sich natürlich über ihren Besuch. Sie ist auch dankbar, dass bei uns das Internet funktioniert, da sie bislang all ihre Lieben noch nicht informieren konnte, dass es ihr gut geht, und immerhin sind ja schon fünf Tage vergangen.

 

Als mich nachmittags die Müdigkeit überwältigt und ich mich ein paar Minuten hinlege, stürmt Anna ins Zimmer: Es sind doch Helikopter geflogen. Nadine ist jetzt am Flughafen. Ich springe auf, und Louisa und ich laufen eilig runter an die Straße. Der Taxifahrer spürt unsere Eile und rast in einem Affentempo, dass ich Angst bekomme, ob wir nun überhaupt lebend am Flughafen ankommen. Zum ersten Mal seit dem Schock am vergangenen Samstag empfinde ich deutliche Furcht – und zwar vor der Situation auf uns zukommt. Wie wird es Nadine gehen, wir traumatisiert wird sie sein? Wie um alles in der Welt soll ich überhaupt Worte finden nach dem, was sie erlebt hat? Schließlich sagt Louisa wie aus dem Nichts: „Ist es okay, wenn wir ein Gebet sprechen?“ Ich nehme ihre Hand, wir schließen die Augen, und Louisa sagt ein paar aufrichtige Worte, die mir tief ins Herz gehen und gleich ein Gefühl geben, dass alles irgendwie gut sein wird.

 

Wir drücken dem Taxifahrer den 500-Rupien-Schein in die Hand und stürmen aus dem Auto. Schon nach wenigen Sekunden sehen wir Nadine mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht und ausgestreckte Armen auf uns zulaufen. Wir umarmen einander und sagen eine Weile erst einmal gar nichts, überwältigt von der Freude des Wiedersehens. Nadine ist erstaunlich gefasst, sie bringt wieder und wieder zum Ausdruck, wie glücklich sie ist, uns zu sehen, und dass es ihr gut geht. Bei ihr sind ihre beiden Brüder Andi und Simon, Simons Freundin Verena, der Porter Sancha und David, Gocools bester Freund. Allen geht es – den Umständen entsprechend – gut, auch wenn es mir das Herz bricht, den Schmerz in Andis Gesicht zu sehen, die Ungewissheit, wie es um seine Freundin steht, der Funke Hoffnung, der überschattet wird von den Fakten.

 

Nadine berichtet uns, was geschehen ist: Kathleen, Andis Freundin, ging es von Anfang an auf der Tour gesundheitlich nicht besonders gut. Am besagten Tag entschied sie sich, die Tagestour ins Gebirge nicht mitzumachen, sondern im Hotel zu bleiben. Unterwegs ging es plötzlich auch Gocool schlecht und er beschloss, zurückzugehen. Ein Träger ging mit ihm. Das, was Nadine vom Erdbeben berichtet, gleicht einem Horrorszenario aus einem Katastrophenfilm. Geröll, Felsen, plötzlich einsetzende totale Finsternis, ein Schneesturm mit beißender Kälte – ich glaube, niemand, der das nicht miterlebt hat, könnte sich jemals in diesen Schrecken hineinversetzen. Die Gruppe lief so schnell es geht den Berg wieder hinunter, wie durch ein Wunder wurde niemand von ihnen verletzt. Doch dort, wo am Morgen noch eine Stadt gewesen war und auch ihr Hotel, befand sich nun ein 30 Meter hoher Gletscher, der sich beim Beben vom Berg gelöst hatte.

 

Natürlich kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wo sich Kathleen, Gocool und der Porter zum Zeitpunkt des Unglücks wirklich aufgehalten haben. Ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, was schlimmer wäre – eindeutig zu wissen, dass sie tot sind, oder die bange Ungewissheit, ob sie vielleicht noch am Leben sind. Tatsächlich bin ich aber froh, dass weder Nadine noch die anderen Augenzeugen waren, wie einer der drei von einer Lawine überrollt wurde o. Ä. Auch wenn sie alle gefasst sind, wird die Realität sicher früher oder später über sie hereinbrechen. Andi möchte auf jeden Fall bewerkstelligen, dass nach seiner Freundin gesucht wird, und ich finde es auch gut und bewundernswert, dass er nicht aufgibt. Nach einem kurzen Gesundheitscheck im Krankenhaus werden sie in einem kleinen Hotel untergebracht.

 

Louisa und ich kommen relativ spät zurück nach Dhapasi. Die didis haben extra für uns das Dal Bhat draußen stehen lassen, und ich merke jetzt erst, wie hungrig ich bin, und ignoriere das Dutzend Kakerlaken, das über die Töpfe krabbelt. Zusätzliches Eiweiß, sage ich mir. Es toben so viele Emotionen in mir – ich bin überglücklich, dass es Nadine gut geht. Ich kenne Gocool nicht sonderlich gut, aber immerhin habe ich mit ihm zusammengesessen, um die eigene Tour zum Everest Base Camp zu planen, auch Kathleen habe ich nur einmal gesehen, aber der Gedanke, sie könnten so plötzlich in den Tod gerissen worden sein, erschreckt mich und ist gar nicht greifbar. Sicherlich stellt sich dieses Gefühl noch ein.

 

Ich wünschte, ich könnte irgendwie die Hoffnung vermitteln, dass eines Tages alles einen Sinn ergeben wird – weshalb so viele bereits mittellose Menschen das Wenige verloren haben, was sie noch hatten; weshalb das Kulturgut vieler Städte und für das Volk wichtige religiöse Stätten vollends zerstört wurden; weshalb Tausende tot sind oder noch vermisst werden; weshalb junge Leute, die einen Urlaub in der herrlichen Natur Gottes erleben wollten, nie wieder in ihre Heimat zurückkehren werden. Ich habe diese Hoffnung durchaus und sie erhält mich aufrecht. Ich predige hier niemandem, ich rede mit niemandem über ein etwaiges Leben nach dem Tod, weil ich glaube, dass der Schrecken noch so groß ist, dass solche Gespräche wenig Trost spenden. Ich versuche eher, diese Hoffnung zu vermitteln, indem ich meine Freunde in den Arm nehme und ihnen das Gefühl gebe, sicher zu sein, indem ich versuche, ruhig zu bleiben. Ab und an, wenn ich ein paar Minuten für mich habe oder mit Freunden oder Familie telefoniere, überkommen mich dann selbst die Tränen, weil ich einfach nicht die ganze Zeit stark sein kann. Aber ich weiß, dass ich irgendwann verstehen werde, weshalb diese schrecklichen Dinge notwendig waren, genauso wie ich weiß, dass hier gerade mein Platz ist, auch wenn ich den Grund noch nicht ganz erfasst habe.

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Die Erde bebt

Ich werde in diesem Beitrag auf Fotos verzichten. Ich habe ein paar Bilder von den Trümmern geschossen, aber ihr habt in den Medien vermutlich schon mehr gesehen als wir. Ich erhoffe mir durch diesen Beitrag nur, dass ihr ein wenig mein Innenleben in so einer unerwarteten Krisensituation und die allgemeine Stimmung vor Ort nachvollziehen könnt.


Eigentlich ist dieser Tag wie jeder andere – und nicht nur das: Es ist Samstag. Die Kids haben schulfrei, und ich freue mich auf Sportaktivitäten mit ihnen, außerdem wollen wir an dem Mini-Theaterstück weiterarbeiten. Die morgendliche Lernsession ist allerdings etwas anstrengender als sonst. Ich hab ja schon davon berichtet, dass Navaraj ein typisches ADHS-Kind ist mit enormen Konzentrationsschwierigkeiten. Aber einmal abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht so recht weiß, wie ich ihm da am besten helfen kann außer mit viel Geduld und abwechslungsreichen Übungen, nutzt es in Bezug auf das nepalesische Schulsystem sowieso nichts: Er muss denselben Stoff lernen wie die anderen auch. Aber er tut sich schwer damit, heute ganz besonders. Kaum eine Minute vergeht, wo ihm nicht etwas einfällt, was wichtiger wäre als Lernen, beispielsweise irgendwelche Gegenstände greifen und damit spielen. Als ich ihm eine kleine Kette wegnehme, ist er schon ziemlich beleidigt und setzt sich (mit dem Rücken zu Pia und mir) in eine Ecke. Dort geht das Spielen letzten Endes munter weiter, und irgendwann packe ich seinen Rucksack und verkünde ihm, dass er sich jetzt nach unten zu den anderen setzt. Er sträubt sich mit aller Macht, tickt auch ein wenig aus, ich versuche ruhig, aber bestimmt zu bleiben. „You go yourself or I carry you!“, ist mein nächstes Ultimatum. Da flippt er noch mehr aus. Ich drücke ihm sein Nepali-Buch in die Hand. „We will sit down and you will read to me, you understand?“, sage ich. Ich werde natürlich kein Wort verstehen, aber so weiß ich, dass er den Stoff immerhin durchgeht. Nun gut, also setzt er sich auf den Boden, ist aber bitterböse mit mir. Nicht das erste Mal. Ich weiß auch, dass er sich normalerweise schnell wieder fängt. „Iʼm strict because I love you, okay?“, sage ich. „I donʼt talk to you anymore“, ist seine übliche Reaktion. Ich denk mir nichts dabei. Ist ja schließlich ein Tag wie jeder andere.


Leo und Gwen machen sich auf den Weg zu einem Elektro-Festival, wir übrigen fahren in die Stadt zum Farmerʼs Market – ein gemütlicher kleiner Markt, der sehr auf Europäer abzielt und einfach leckere Spezialitäten anbietet, die man sonst kaum in Kathmandu bekommt, nach denen es aber nach all dem Dal Bhat eben manchmal gelüstet, etwa frisches Brot nach deutschem Standard und Käse. Wir lassen es uns dort richtig gut gehen, machen noch einen Abstecher ins Himalaya Java Café, da wir ohnehin davon ausgehen, dass die Kids nach dem Frühstück fernsehen werden. Wir kommen gegen 11 Uhr vormittags zurück. Ich setze mich an den PC ins Zimmer neben dem TV room, weil ich ein wenig arbeiten möchte, und bin immer noch beglückt von dem überbackenen Käse-Bacon-Croissant. Ein Tag wie jeder andere.


Das Rütteln beginnt so unmerklich und leise, dass ich eigentlich gar nicht checke, was passiert. Erst als nebenan die ersten Panikschreie kommen und neben mir das erste Bild vom Regal kracht, springe ich auf und sprinte durch die Tür. Hinter mir kracht ein Bücherregal um. „Get out of the house!“, rufe ich. Ein paar sind schon unten. Die Mädchen vor mir stehen wir paralysiert im Zimmer und im Treppenhaus. Wir müssen sofort hier raus. Wir müssen sofort auf den Bolzplatz!, ist nur alles, was ich denke. Wie lange das Beben anhält, kann ich nicht genau sagen – die meisten meinen, es wäre etwa 60 bis 90 Sekunden lang gewesen. Mag hinkommen. Mit dem Adrenalinschub und dem Gefühl, einer Macht ausgesetzt zu sein, gegen die man absolut hilflos ist, verliert man jegliches Zeitgefühl. Die Mädchen fallen teilweise zu Boden, ich selbst kann mich ebenfalls kaum halten. Irgendwie gelingt es uns aber, nach unten zu laufen. Die didis stehen weinend und wehklagend im Hof. Direkt vor dem Tor ist eine Mauer auf den Gehweg gestürzt. Ich bin nur froh, dass endlich alle unten sind und vom Beben nichts zu spüren ist. Oder doch? Nein, es sind nur meine Beine, die noch wackelig sind. Alle Kids sind auf dem Bolzplatz. Nina und Pia sind (verständlicherweise) in Tränen aufgelöst. „Geht es allen gut?“, frage ich so gefasst wie möglich. Ja, niemandem ist etwas passiert. Alle sind hier.


Da geht es wieder los. Wir kauern uns auf den Boden, aus allen Himmelsrichtungen sind Aufschreie zu vernehmen. Diesmal dauert das Beben nicht sonderlich lange, aber der Adrenalinschub ist der gleiche. Tausend Gedanken kommen mir: Zum Glück ist heute schulfrei und wir sind zusammen. Zum Glück sind wir schon aus der Stadt zurück. Vater im Himmel, bitte lass das Haus nicht einstürzen … Die Kids haben doch schon nichts, nur ein Bett und zwei warme Mahlzeiten am Tag … nimm ihnen doch bitte nicht das Wenige, was sie besitzen … Wir schauen uns um: Ein paar Häuser in der Gegend haben Risse. Unseres ist davon verschont geblieben. Ich muss dazu sagen, dass die Gegend ohnehin etwas gehobener ist (für Kathmandu-Verhältnisse) und die Häuser alle relativ stabil wirken. Aber nicht weit entfernt steht ein gewaltiger Hotelkomplex, das Horizon. Auf dem Weg nach Gongabu meinte Ellen mal zu mir: „Ich würde da nie schlafen und auch nie Freunde von mir einquartieren. Ist schließlich ein erdbebengefährdetes Gebiet und das Teil da ist sicher nicht erdbebensicher.“ An allen Fassaden bröckelt es gewaltig. Scheiße, was ist, wenn das einstürzt, denke ich. Hoffentlich ist es schon evakuiert … Aber die Häuser drum herum würden ebenfalls restlos zerstört werden – und all diese Menschen, die ohnehin eigentlich nichts haben, verlieren das letzte Bisschen. Wir hocken inzwischen alle gemeinsam auf dem Boden des Bolzplatzes, viele Nachbarn strömen dazu. Ich bin noch imstande, meinen ersten Facebook-Post zu machen, ehe Internet und Telefonnetz zusammenbrechen. Wir wissen nichts. Wir wissen nicht, wie stark das Beben war, wie es im übrigen Stadtgebiet aussieht, wie viele Menschen ums Leben gekommen sind. Wir sitzen einfach da und warten. Schließlich bekommt der große Navaraj über sein Handy eine Radioverbindung hin. In der Innenstadt muss es gräulich aussehen. Der weiße Turm am Rathna-Park, dessen Foto ich in einem anderen Blog-Beitrag gepostet habe und auf den ich unbedingt noch wollte, soll eingestürzt und fünf Menschen in den Tod gerissen haben. Aber mir ist da schon klar, dass das erst der Anfang ist. Zwischendurch geht das Internet immer mal wieder kurz. Alle Tempelanlagen sind zerstört. Das Kulturgut der Stadt! Ich schicke Stoßgebete zum Himmel, bin aber gleichzeitig dankbar, dass wir alle zusammen sind. Und unverletzt.


„I miss my family“, sagt Dinesh plötzlich, der sich von links an mich gekuschelt hat. Es ist das erste Mal, dass ich fast dabei bin, meine Fassung zu verlieren. „I know“, sage ich und lege meinen Arm um ihn. „But you know what? One day you will have your own family. You will have a beautiful wife and beautiful children and you will be the best father in the world. And you will be together forever.“ Was Gescheiteres fällt mir nicht ein. Weitere Nachbeben setzen ein. Es ist nur ein kurzes Rütteln und nicht sonderlich heftig. Aber das Herzrasen setzt sofort ein. Es ist die Ungewissheit, die einem zu schaffen macht – denn das erste, heftige Beben begann schließlich auch ruhig. Es ist auch die Ungewissheit, wann und ob das nächste kommt. Nina und Anna wollen am Montag eigentlich nach Thailand abreisen. Wird das überhaupt möglich sein? Wie geht es Leo und Gwen? Und den Kids in Gongabu?


Pia holt irgendwann eine Packung M&Ms. Schokolade beruhigt schließlich immer. Alle Kids dürfen jeweils zwei nehmen. Es ist nichts und doch so viel, und die Stimmung hebt sich gleich. Als Ramesh mir von seinen beiden kleinen Schokokugeln fast wie selbstverständlich eine in den Mund steckt, kommen mir das erste Mal die Tränen. Ich versuche, sie so gut wie möglich zu unterdrücken, aber ich merke, dass ich innerlich so unruhig bin, einfach weil ich nicht weiß, wie es weitergeht, und auf der anderen Seite eigentlich gar nicht irgendwo anders auf der Welt sein will als hier bei den Kids.


Als schließlich die Wolkendecke aufreißt und die pralle Sonne auf uns herabscheint und seit einiger Zeit kein Beben mehr zu spüren ist, werden alle entspannter. Wir lenken uns ab und spielen Volleyball, und ich merke, wie ich selbst auch viel ruhiger werde. Leo kommt zurück – das Festival findet nicht mehr statt, was mich auch gewundert hätte. Vorsichtig werden im Haus ein paar Schäden behoben, also Scherben aufgesammelt und so weiter. Aber wir halten uns konsequent draußen auf. Der Bolzplatz ist groß und eigentlich sind wir hier (falls nicht die Erde aufreißen sollte) sicher.


Mit Nina und Anna gehe ich schließlich runter nach Gongabu. Auch dort sind alle wohlauf. Das Haus hat ein paar Risse abbekommen, was laut Navaraj jedoch nicht so schlimm sein soll. Die Kleinen sind relativ ruhig. Louisa hingegen ist fix und fertig – sie hat erfahren, dass ein Freund aus Kathmandu gerade all sein Hab und Gut verloren hat. Auch von Nadine, die mit ihren Brüdern trekken ist, wissen wir nichts. Louisa erzählt, dass der Musiklehrer gerade da war, als das Beben begann, und einfach rausgerannt, sich unter Louisas Bett versteckt und die Gruppe von 15 Kindern allein zurückgelassen hat.


Der Weg nach und von Gongabu ist gekennzeichnet von eingestürzten Mauern, rissigen Straßen. Hier und da ist ein Gebäude kollabiert. (Zum Glück kein Vergleich zu den Schreckensbildern in den Medien.) Auf dem Rückweg spreche ich mit den Kids aus meiner Desinfektionsgel-Gang. Ein weiteres Beben ist angekündigt, erklären sie mir, und zwar für nachts. Die Familie des einen Jungen räumt die Garage leer, die voller großer Gasflaschen ist, die bei dem Beben alle umgestürzt sind. Glücklicherweise keine Explosion. Bei der Menge hätte das die ganze Nachbarschaft zerstört.


Wieder daheim, wird der Plan für die Nacht bekanntgegeben: Wir schlafen zur Sicherheit draußen. Wir volunteers holen alles, was wir an halbwegs wärmeren Klamotten und Jacken haben und decken die Kids damit ein. Auch Schlafsäcke und Isomatten werden geholt. Die Mehrheit schläft unten auf dem Bolzplatz, ich ziehe mich nach oben auf den Hof unter dem Wellblech zurück. Der große Umesh (nicht Rameshs Bruder) ist nämlich an Gelbsucht erkrankt, und es geht ihm total elend, dem Armen. Ich hole meine Luftmatratze und bette ihn darauf, damit er wenigstens komfortabel schlafen kann. Dann hole ich meinen Laptop und schaue mit ein paar Jungs einen Film und lasse sie anschließend mit meinem Handy spielen. Alles Dinge, die ich bislang strikt vermieden habe, aber mir ist jede Ablenkung wichtig, und so sind sie gut drauf und haben Spaß. Irgendwann schmiegen wir uns dann auf dem harten Boden unter wenigen Decken aneinander – Kamal, Indra, J.P., Himal, Dinesh und ich. Neben uns Umesh. Die Jungs erzählen mir ein paar Witze. Es wird spät, und auch wenn ich geglaubt habe, in dieser Nacht kein Auge zudrücken zu können, merke ich, wie mich die Müdigkeit langsam überkommt. Eigentlich sollte ich die Rolle des „Beschützers“ übernehmen und Furchtlosigkeit ausstrahlen, aber wie ich hier so daliege, Himal sein Gesicht in meinem linken Arm vergräbt und J.P. seins in meinem rechten, spüre ich, wie das Zusammensein mit den Jungs auch mich beruhigt. Ich beschließe, dem Schlaf eine Chance zu geben. Da beginnt es zu regnen.


Innerhalb kürzester Zeit kommen die übrigen Kids hoch. Der Großteil verkriecht sich zu uns unters Wellblech, ein paar auch vor den Hauseingang. Eng ist gar kein Ausdruck mehr, aber irgendwie geht es, und irgendwie finde ich ab und zu ein wenig Schlaf. Ich wache einmal kurz von einem Beben auf, aber es ist wie schon am Nachmittag nur sehr kurz. Das große Nachbeben in der Nacht, das befürchtet wurde, setzt also nicht ein.


Dafür jedoch der Notstand, wie wir dann morgens erfahren. Es besteht Angst vor Beben noch über die kommenden fünf Tage. Nina und Anna können ihre Abreise wohl fürs Erste knicken – der Flughafen scheint ohnehin große Schäden genommen zu haben. Die Zahl der Toten steigt immer weiter. Ich habe buchstäblich keine Ahnung, wie es mit Nahrung und Trinkwasser aussehen wird. Wir haben alle noch Tabletten, mit denen wir das Leitungswasser trinkbar machen können, aber wie lange die bei all den Leuten halten, wissen wir nicht. Nichtsdestotrotz herrscht keine bedrückende Stimmung unter den Kids, was mir am wichtigsten ist. Die kühle Nacht ist ausgestanden und allen geht es gut. Die meisten konnten ein wenig Ruhe finden.


Schon früh am Morgen brechen Telefonnetz und Internet komplett zusammen. Ich bin froh, dass ich noch kurz einen weiteren FB-Post machen kann, denn dann ist erst einmal alles tot. Was auch bedeutet, dass wir abgeschnitten sind. Wir erfahren, dass das Haus unserer zwei Schützlinge Ramesh und Umesh wohl komplett eingestürzt ist, es der Familie aber wohl immerhin gut geht. Die allgemeine Hilflosigkeit führt zu Spannungen. Um den Bolzplatz haben sich viele Nachbarn mit Zelten niedergelassen, und als ich mit den Jungs Volleyball spiele, steht irgendwann ein älterer Mann auf und brüllt uns zusammen, wir würden alle stören. Ich ticke fast aus und Sachin und Sujan halten mich beide fest und gehen mit mir vom Platz. „Itʼs okay“, versucht mich Sachin zu beruhigen. „Heʼs just an angry old man.“ Er hat ja recht. Wahrscheinlich ist es auch die eigene innere Spannung, die mich gerade explodieren lässt. Es ist auch schwachsinnig, wenn wir jetzt noch gegeneinander angehen, schließlich sitzen wir alle im selben Boot.


Der Tag zieht sich mühselig dahin. Mittags wird im Radio bekanntgegeben, dass ein weiteres Erdbeben erwartet wird, diesmal Stärke 9. Das verbreitet natürlich erst einmal allgemeine Panik. Wir volunteers haben das Gefühl, dass es genau das ist – Panikmacherei. Aber natürlich dürfen wir solche Meldungen nicht einfach ignorieren. Also ziehen wir wieder allesamt auf den Sportplatz, es wird jetzt schon beschlossen, dass die nächste Nacht wieder im Freien verbracht wird. Weil die vergangene Nacht für alle anstrengend war, schlafen viele Kids tagsüber. Gespielt wird kaum. Nur herumgesessen und gewartet auf den Sturm, der nicht kommt. Das heftigste Nachbeben weilt nur ein paar wenige Sekunden.


Anna und Nina erfahren, dass der Flugverkehr zu Normalität zurückgekehrt ist. Sie kämpfen aber mit sich selbst – denn für die beiden geht es nicht zurück nach Deutschland, sondern in einen mehrwöchigen Urlaub in Thailand. Sie wissen nicht, ob sie selbst damit klarkommen können, eine Krisensituation wie diese zu verlassen, um dann Urlaub zu machen. Aber was wäre wirklich die Alternative? Das Ganze einfach kippen? Einen guten Ratschlag habe ich auch nicht. Annas Eltern sind besorgt, dass nach dem Beben nun Seuchen kommen, denen wir vielleicht auch ausgesetzt sind. Auch Ellen schreibt mir, dass sie vollstes Verständnis hätte, wenn ein Praktikant abbricht. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das jemand will. Eher im Gegenteil – dass wir zur rechten Zeit am rechten Ort sind und helfen können.


Die zweite Nacht verbringe ich mit ein paar Jungs in der Bibliothek, einem winzigen Gebäude auf dem Hof. Ich persönlich bin der Meinung, dass alle auch wieder im Haus schlafen könnten, aber die allgemeine Angst unter den Kids und der Heimleitung ist noch zu groß. Ich habe mich inzwischen an die Nachbeben sogar so gewöhnt, dass ich erst einmal kurz abwarte, wenn es zu Ruckeln beginnt, und nicht gleich nach draußen stürme. Nachts gibt es zwei kleine Beben – Kamal schlägt mir beide Male panisch auf die Beine. „Uncle, uncle!“, ruft er. „Itʼs okay, just a small one“, versichere ich ihm, und es hört auch schon wieder auf. (Fast schon witzig: Während ich diesen Satz schreibe, folgt das nächste. Aber auch nur eine 3-sekündige Vibration.) Der Boden in der Bibliothek ist nicht gemütlicher als der Boden auf dem Hof, aber wir alle finden Ruhe. Ich bin froh, dass wir alle rechtzeitig das Sportfeld verlassen haben, denn später am Abend regnet es ziemlich heftig und gewittert sogar. Bei jedem Donnerschlag fragen wir uns, ob der Lärm vom Himmel oder von der Erde kommt.


Morgens sind die Brüder Ramesh und Umesh zurück. Ich habe die beiden nur einen Tag nicht gesehen und falle ihnen trotzdem um den Hals. „Iʼm so happy youʼre back“, sage ich nur und möchte mir gar nicht vorstellen, wie es ihnen gehen mag, nun da ihr Haus zerstört ist. Ich freue mich, dass beide dazu imstande sind zu lächeln und zu lachen. Von Nadine weiß immer noch niemand was, und wir sind in größter Sorge, denn gerade die Bergregionen soll es ja gewaltig erwischt haben.


Überwältigt bin ich von der Anteilnahme über Facebook. Vielleicht ist es für viele tatsächlich etwas ganz anderes, mit solchen Erdbebennachrichten umzugehen, wenn sie wissen, dass jemand, den sie kennen, mitten im Geschehen ist. Mich berühren die vielen Nachrichten, die vielen Zusicherungen um Gebete.


Die Kleinen aus Gongabu kommen hoch nach Dhapasi. Unten funktioniert der Strom nicht mehr, und im Grunde ist hier ja auch genügend Platz. So können sich auch die Großen um die Kleinen kümmern, auch sind ein paar leibliche Geschwister wieder vereint, was ebenfalls nicht schaden kann. Die Kinder beschäftigen sich gut miteinander und sind fröhlich. Die Nachbeben, die in immer selteneren Abständen kommen und glücklicherweise auch nur ein paar Sekunden lang sind, sorgen im ersten Augenblick für einen kleinen Schrecken, sind dann jedoch gleich wieder vergessen. Nachmittags kommt die erlösende Nachricht, dass es Nadine und ihren Brüdern gut geht und sie in Sicherheit sind. Sie sitzen im Gebirge fest und können weder hoch noch runter, sollen aber bald mit dem Helikopter herausgeholt werden. Dafür haben wir leider ein neues Sorgenkind: den großen Umesh, dessen Zustand sich einfach nicht bessern will. Trotz seiner dunklen Haut wirkt er regelrecht bleich. Er war schon immer dünn und scheint nun nur noch Haut und Knochen zu sein, weil er nichts mehr essen mag. Er siecht förmlich vor sich hin, hustet viel, kann sich nicht mehr selbst auf den Beinen halten. Wir volunteers bekommen mit, wie er mit pflanzlichen Mitteln versorgt wird, aber wir befürchten, dass das nicht reicht. Nur wie sollen wir vorgehen? Die Krankenhäuser sind doch bestimmt völlig überfüllt. Andererseits gefällt mir der Gedanke, einfach abzuwarten, auch nicht.


Nahrung und Trinkwasser haben sich für uns persönlich zum Glück noch nicht zum akuten Problem entwickelt, aber wir machen uns natürlich Sorgen. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass ich trotz aller Umstände von einer grundsätzlichen Ruhe erfüllt bin. Vielleicht sind das wirklich die vielen Gebete, die um unserer willen gesprochen werden. Auch gelingt es uns volunteers, einander zu stärken. Anna und Nina bleiben nun definitiv hier und fliegen in zehn Tagen heim. Pia hat ihren Flug umgebucht und wird Nepal mit ihnen gemeinsam verlassen.


Da Regengüsse befürchtet werden, wir das Zeltlager auf dem Bolzplatz verstärkt. Wir graben Rinnen ringsherum, wo das Wasser dann hoffentlich versickert. Als wir uns zur Nachtruhe begeben, sind wir im Grunde ein großer Menschenhaufen quer über und untereinander, aber es ist kuschelig und warm. Der kleine Bimal ist in meine Arme gekrochen, Sunil und Indra liegen mit ihren Köpfen direkt an meinem. J.P. hat seinen Kopf auf meinen Beinen gebettet, Sudeep liegt zu meinen Füßen. Gegen halb zehn gibt es ein kleines Nachbeben – es wirkt vergleichsweise heftiger, weil wir direkt auf dem Erdboden schlafen, aber es ist nur kurz, und die meisten Kids wachen auch überhaupt nicht auf davon. Ich selbst öffne nur kurz die Augen, sage müde: „Letʼs count to three before we panic“, da ist es auch schon wieder um. Um 22 Uhr werde ich dann allerdings aus dem Schlaf gerissen, weil Sujan mich weckt. „Brother, come quickly!“, ruft er fast panisch. Irgendwie pule ich mich aus der Kinderschar und arrangiere die schlafenden Engel so, dass sie einigermaßen bequem liegen. Sujan ist eines der ältesten Kinder und patrouilliert dementsprechend, bis alle schlafen. Er hat nun in den Nachrichten etwas schier Unglaubliches gehört: Die Beben seien keine Folge von Erdplattenverschiebung, sondern unter Kathmandu ruhe ein sogenannter Super-Vulkan, der vor dem Ausbruch steht und dann das ganze Land zerstören wird. Während ich den armen Jungen einigermaßen beruhigen kann, rege ich mich tierisch über solche Berichte auf. Was ist denn das für eine bescheuerte Panikmache? Das Problem ist, dass die Nepalesen sowas leider bedingungslos glauben. Am Nachmittag hat Leo aus Spaß erzählt, unter dem Horizon ruhe ein Drache, der nun erwacht sein und die Erdbeben verursacht habe. Als die Kids nicht lachten, sondern nur große Augen machten, korrigierte er das natürlich, aber das zeigte uns, dass die alle mitunter zu gutgläubig sind. Wir sehen das auch bei der leitenden Familie hier – Navaraj, seine Schwester und seine Mutter sind bei jedem Erdstoß am panischsten. Es ist schwierig, dagegen anzukommen und einen kühlen Kopf zu bewahren.


Ich bleibe noch eine Weile wach und gehe in die Bibliothek, wo unter anderem auch Umesh schläft. Er sieht schlechter aus, liegt irgendwie gleichzeitig versteift und verkrümmt auf dem Boden, schwitzt, faselt im Schlaf, stöhnt. Aber unter seinem Kopfkissen sind ja irgendwelche Heilpflanzen, das müsste ja helfen, erzählen die Jungs. Ich will ihnen diesen Glauben gar nicht nehmen, aber ich bin mir sicher, dass das nicht ausreichen wird, um eine Besserung herbeizuführen.


Irgendwann kehre ich zurück zu meinem alten Schlafplatz, lege mich nun selbst ans Fußende der Kids und finde noch ein paar Stunden Schlaf, ehe der neue Tag um kurz vor fünf beginnt. Mir tut alles weh von dem harten Boden, aber trotzdem habe ich etwas Ruhe finden können. Als ich den Sportplatz verlasse und hochkomme, trifft mich der regelrechte Schock: Vor der Bibliothek sitzen zwei Jungs mit Umesh. Ich kann den Anblick wirklich nicht anders beschreiben als dass ich das Gefühl habe, ihm stehe der Tod ins Gesicht geschrieben. Er muss sofort ins Krankenhaus, ist mein einziger Gedanke, und glücklicherweise erfahre ich, dass Navarajs Bruder Nabin schon eines gerufen hat. Gemeinsam mit ihm, Sujan und Kamal fahre ich ins Grande International Hospital. Das Gebäude ist einstürzgefährdet und hat heftige Risse erlitten. Auf dem Vorplatz wurden provisorische Zelte errichten – es ist ein Anblick, den ich nur aus Filmen oder aus Nachrichtenmeldungen kenne. Zum Glück nimmt sich ein Sanitäter Umesh sofort an. Er wird kurz ins Gebäude gebracht und geröntgt. Die Diagnose: nix da Gelbsucht. Lungenentzündung! Ich bin geschockt, dass bei ihm zuvor eine dermaßen falsche Diagnose gestellt und er auch völlig falsch behandelt wurde. Schnell wird ihm über den Tropf ein Antibiotikum gereicht, und sein Feldbett kommt in eines der Zelte. Nun beginnt eine stundenlange Warterei, in der Nabin, die Jungs und ich gar nichts ausrichten könnten. Die Zahl der Ärzte ist rar. Wir sitzen in der heißen Sonne, und ich fühle mich hilflos, weil ich eben überhaupt nichts tun kann. Mittags sieht Umesh schon besser aus. Er redet mit uns, lächelt, wirkt gleich etwas kräftiger. Wir holen ihm Hühnersuppe, die er langsam schlürft. Ein Lichtblick, der allerdings schnell von einem neuen Problem abgelöst wird: Innerhalb weniger Minuten schlägt das sonnige Wetter in eine Gewitterfront um. Es beginnt so heftig zu regnen, dass die Zelte zusammenzubrechen drohen. Besucher und Krankenhauspersonal stehen innen an den Zeltplanen, und mit aller Macht halten wir die Zelte zusammen, damit der Wind sie nicht wegbläst. Vater im Himmel, are you frigginʼ kidding me?!, denke ich nur und bin wirklich etwas wütend, bitte dann aber einfach um genügend Kraft, dass mir der glitschige Stoff nicht entreißt, was auch gelingt. Nach einer guten halben Stunde ist der Sturm vorbei, der Regen hat sich einigermaßen gelegt. Die Patienten werden nun nach und nach in den Eingangsbereich des Krankenhauses geholt, weil es zu gefährlich ist, die draußen an der kühlen Luft zu lassen – der Arzt meint, sonst könnte sich ja jemand eine Lungenentzündung holen. Ha ha. Grrr. Auch im Krankenhaus sieht es nicht besser aus. An jeder Wand eine lange Reihe von Feldbetten mit siechenden Leuten, daneben besorgte Angehörige. Immerhin: Umeshs Zustand bessert sich stündlich. Als wir ein Taxi nehmen, damit wir heimfahren und uns umziehen können, wirkt er schon sehr bei Kräften. Ein Angehöriger von ihm ist gekommen und passt auf ihn auf, solange wir weg sind. Ich beschließe jedoch, nicht zurück ins Krankenhaus zu fahren, einfach weil ich dort nichts ausrichten kann und mich nutzlos fühle, viele Stunden herumzusitzen und nichts zu tun. So fährt Nabin abends allein wieder hin, und ereilt aber schnell die Nachricht, dass es Umesh weiterhin gut geht, wenngleich er erst einmal dort bleiben wird, wenigstens über Nacht.


Die anderen volunteers fahren derweil zur deutschen Botschaft, um die Lage abzuchecken. Louisa berichtet mir von einem bürokratischen Chaos ohnegleichen. Die Touristen würden lieblos abgefertigt werden, niemand sei imstande, wirklich zu helfen. Viele seien tatsächlich ohne Nahrung, ohne Unterkunft. Niemand helfe ihnen bei der Buchung eines Rückfluges. Nun verstehe ich auch besser, was ich die vergangenen Tage aus Deutschland gehört habe, dass die Regierung hierzulande mit allem so überfordert sei. Das ist nun etwas, womit wir uns zum Glück nicht herumschlagen müssen. Wir lesen auch mehrere Zeitungsmeldungen aus Deutschland, in denen es konkret um unsere Einrichtung geht. Teilweise müssen wir schmunzeln, wie wir dargestellt werden. Denn um es noch einmal hervorzuheben. Nahrung und Trinkwasser ist allgemein wirklich ein Problem, und wir müssen jeden Tag aufs Neue schauen, wo wir das herbekommen, aber: Bislang ist es uns immer gelungen, ohne dass wir uns große Sorgen machen brauchten. Die Stimmung unter den Kindern ist auch gut, es um Grunde keine Angst. Im Vergleich zu so vielen, die bei dem Beben alles verloren haben, geht es uns blendend. Wir sind – natürlich! – für jede Spende zutiefst dankbar, denn es sind 70 Kinder hier, die versorgt werden müssen. Aber nichtsdestotrotz haben uns die Umstände gut erwischt, und wir alle haben den Wunsch, dass die Außenwelt das auch weiß und nicht denkt, dass wir hier in Furcht und Schrecken leben und ums Überleben kämpfen müssen.


Es begann wie ein Tag, der allen anderen glich, und nahm doch eine Wende, die alles verändert hat. Ich weiß nicht genau, weshalb ich gerade jetzt in Nepal bin. Aber ich bin dankbar dafür. Wie ihr auch meinen ersten Blogeinträgen herausgelesen habt, hat mich die ganze Erfahrung überwältigt und sich als größerer Segen herausgestellt als ich es mir erhofft hatte. Ich habe natürlich nicht mit den jüngsten Geschehnissen gerechnet, aber auch die werden ihren Sinn haben. Für mich persönlich, für die Kids, für die übrigen Einwohner Nepals, für die ganze Welt.

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Der Ernst des Lebens beginnt II

Ein paar der Großen sind jetzt in der 10. Klasse. Das bedeutet, ihr Tagesablauf ändert sich nun etwas: Statt des regulären Lernens von 6 bis 8 Uhr stehen sie um halb vier Uhr morgens auf. (Nein, ihr habt euch nicht verlesen. 3:30 Uhr. Morgens.) Sie lernen von 4 Uhr bis halb sechs, dann gibt es ein kleines Frühstück, ehe es zum Bus geht. Aber sie müssen nicht nur zwei Stunden früher an der Schule sein, sie haben auch noch länger Unterricht – während die anderen zwischen vier und fünf in Dhapasi eintrudeln, kommen die Zehntklässler frühestens um 18 Uhr zurück. Dann sitzen sie anderthalb Stunden an den Hausaufgaben, ehe es Abendessen gibt und danach direkt ins Bett geht. Sechs Mal die Woche. Ohne auch nur einmal zu meckern. Aber: Wie gewohnt die Nepalesen den recht strikten Tagesablauf auch gewöhnt sein mögen, den Kids ist anzumerken, wie sehr sie gefordert werden. Können die Sechst- bis Neuntklässler nach den Hausaufgaben noch wenigstens eine halbe Stunde oder so im Hof Dampf ablassen, wirken die ganz Großen nur noch müde und kaputt. Ich bin selbst gespannt, ob sie auch samstags schon so früh aufstehen müssen, oder ob ihnen da zwei Stunden länger im Bett gewährt werden …

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Raus aus Kathmandu

Nun, da die Ferien vorbei sind, haben wir volunteers einen Großteil des Tages frei. Für mich als Teilzeitarbeitnehmer läuft das mit dem Übersetzen aus der Ferne jetzt ein wenig geordneter als die vergangenen paar Wochen, wo ich mir das immer ein wenig über den Tag aufbröckeln musste, aber die neu gewonnene freie Zeit muss natürlich auch genutzt werden, um neben dem brother- und uncle-Dasein auch einfach mal ein wenig Tourist zu sein. Den Anfang bildet heute ein Ausflug in die Nähe von Bhaktapur. Der Wecker klingelt um Viertel nach drei Uhr morgens, denn wir wollen in den Bergen einen Sonnenaufgang anschauen. Bei Gocool, einem Absolventen des Vereins, der nun mit Mitte Zwanzig seinen eigenen Fremdenführer-Shop hat, mieten wir einen Van. Gocool und sein Fahrer gabeln uns also in aller Frühe an der ring road auf, und nach ungefähr einer Dreiviertelstunde erreichen wir ein kleines Hotel in den Bergen mit einem traumhaften Blick. Ich bedanke mich an dieser Stelle vor allem bei Nina, deren Kamera einfach weitaus bessere Fotos schießt als mein Handy, und die mir ihre Aufnahmen zur Verfügung stellt. Meine Videoaufnahme ist eigentlich auch nicht sonderlich beeindruckend. :) Aber überhaupt lässt sich so ein wunderschönes Naturereignis gar nicht adäquat festhalten. Highlight ist natürlich vor allem auch, dass wir hinter der Bergkette einen kleinen Blick auf den Mount Everest werfen können.

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Der Ernst des Lebens beginnt

Die Ferien sind vorbei: Mit dem nepalesischen Neujahr beginnt auch das neue Schuljahr. Nur zwei Kids aus Dhapasi sind in jeweils einem Schulfach durchgefallen (was allerdings normalerweise heißt, dass man nicht in die nächste Stufe darf), der Rest hat sich wacker geschlagen. Das ganze Schulsystem funktioniert leider überhaupt nicht gut, einmal abgesehen davon gibt es leider auch genügend Kinder in Nepal, die gar nicht zur Schule gehen oder gehen können. Schule kostet schließlich. Ramesh beispielsweise ist er mit ungefähr zehn Jahren eingeschult worden. Er hat allen Stoff inzwischen aber so gut aufgeholt, dass er, nachdem er nun die 6. Klasse bravourös abgeschlossen hat, die 7. komplett überspringt und in die 8. kommt. Dadurch, dass die wenigsten Nepalesen überhaupt ihr Alter kennen, kann man das mit dem geordneten deutschen Schulbeginn also gar nicht erst vergleichen. Die Schulklassen hier sind außerdem sehr viel größer (fast 40) und, damit die (De-)Motivation noch größer wird, steht im Zeugnis auch haargenau, welchen „rank“ man in der Klasse von den Noten her erzielt hat. Was nicht anderes heißt als: Nicht nur die Klassenbesten wissen, wie gut sie sind, sondern es steht auch schwarz auf weiß, wenn man der Klassenschlechteste ist. Und wird auch gleich damit belohnt, dass man im Klassenzimmer hinten sitzen darf. Denn vorne sitzen schließlich die guten.

Ich habe das Ferienende immer gehasst, besonders das der sechswöchigen Sommerferien, hier geht das alles weitaus nüchterner zu und wird mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Ein paar Tage vor Schulbeginn werden die neuen Schulbücher geliefert und feinsäuberlich in Plastikhüllen geklebt, es gibt neue Rücksäcke, neue Schuhe. Der erste Schultag beginnt wie jeder andere Tag auch: Von 6 bis 8 Uhr morgens wird gelernt, dann gibt es Frühstück. Dann jedoch wird nicht mehr draußen gespielt oder Zeitung gelesen, sondern alle machen sich schnell bereit und stellen sich auf.

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Frohes neues Jahr 2072!

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Streicheleinheiten

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He Is Risen

Die Osterkörbe der Großen feat. Pia, Steffen und Manu
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Mila kann lachen wie die Sonne überm Himalaya

Ich ruf sie immer „Terror Twins“ – aber nur zum Spaß. Sie sind zwar ein wenig hyperaktiv, aber total liebenswert. Übrigens auch sehr musikalisch.
Ich ruf sie immer „Terror Twins“ – aber nur zum Spaß. Sie sind zwar ein wenig hyperaktiv, aber total liebenswert. Übrigens auch sehr musikalisch.

Neugierig steckt Rapten (oder ist es Norden? Ich kann das kleine Muttermal an Nordens linkem Auge, dank dessen ich die Zwillinge unterscheiden kann, vom Bett aus eh nicht erkennen) um 5:30 Uhr den Kopf ins Zimmer der uncles. „Lazy uncle!“, ruft er mir zu, als ich verschlafen den Kopf hebe. Ich gehe jetzt erst immer nach dem Frühstück runter nach Gangabu, weil ich von 6:00 bis 8:00 mit Shioba lerne. Sie wohnt mit ihren Schwestern in der Nähe und ist neu im Programm, aber eben nur tagsüber. Ihr Englisch ist nicht gut und sie braucht dringend Nachhilfe, um auf den Stand ihrer Altersgenossen zu kommen. Also übe ich nun jeden morgen mit ihr Vokabeln, übe lesen, lasse sie Diktate schreiben. Immerhin bedeutet das für mich, dass ich noch nicht um 5:30 Uhr aus dem Haus muss, sondern ein bisschen länger liegen bleiben kann. Für die Kinder, die alle gegen 5:00 Uhr aufstehen, völlig unverständlich. Man geht hier sehr früh zu Bett und steht eben auch sehr früh auf. Von 6 bis 8 wird gelernt. Jeden Tag. Und man bedenke: Derzeit sind Ferien. Das heißt, konkrete Hausaufgaben stehen gar nicht an, sondern Stoff wird wiederholt und vertieft. Ich frage mich, wie wohl ein deutscher Schüler reagieren würde, wenn man ihn verdonnert, in den Schulferien von 6 bis 8 Uhr morgens zu lernen. Das ist sicherlich schon als Höchstmaß an Strafe anzusehen. Hier gehört es zur ganz normalen Tagesroutine. „Iʼll get up in a minute“, verspreche ich großzügig und wälze mich noch mal zur Seite. So langsam erwacht das Leben im Zimmer. Leo und Steffen machen sich auf dem Weg nach Gangabu, ich pule mich aus dem Bett, ziehe mir nur Shorts und meine Sweatjacke über. Klogang, Zähneputzen, und kaum bin ich zurück im study room, sitzen da schon alle fleißig und lernen mit Navaraj, es sei denn, dieser hat eines der Kinder beauftragt, das Lernen zu leiten.

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Das Gleichnis vom Desinfektionsgel

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„Benny Uncle, Benny Uncle, Benny Uncle!“

Das liebevolle Miteinander, das hier herrscht, haut mich nach wie vor um. Ich habe von frühester Kindheit gelernt, wie wichtig Einigkeit und Harmonie sind – und natürlich habe ich dies auch in der Familie und im Freundeskreis erlebt. Trotzdem fühle ich mich etwas schäbig, wie „anstrengend“ das Konzept für mich sein kann, wenn mir hier Einigkeit in ihrer reinsten Form als etwas völlig Selbstverständliches vorgelebt wird. Wieso? Weil diese Mädchen und Jungen nichts haben außer einander. Und so dankbar füreinander sind, dass ein anderes Verhalten für sie außer Frage steht.


Ein weiteres Konzept, was gerade auch in der Kirche im Vordergrund steht (zumindest stehen sollte), ist der Einzelne. Wie oft habe ich schon gehört, dass wir uns um den Einzelnen kümmern sollen. Ich merke hier, wie sehr mir dieses Konzept zu schaffen macht. In Gangabu befinden sich 45 Kids, in Dhapasi 33. Wie ich schon geschrieben habe, kümmern sie sich sehr liebevoll umeinander. Es gibt keine Außenseiter. Es gibt nicht einmal etwas Cliquenartiges (halt nur, dass Mädchen und Jungen sich eher nicht mischen). Jeder spielt mit jedem. Aber wir Praktikanten haben durchaus einen spürbaren Stellenwert hier. Die Kinder wollen unsere Aufmerksamkeit. Und zwar jeder Einzelne. Bei manchen Aktivitäten ist das in der Gruppe möglich, aber nicht immer. Wie soll man da bei der begrenzten Zeit, die ein Tag bietet, entscheiden, wem man sich zuwendet? Von einem „Er oder sie braucht mich mehr als jemand anders“ kann in diesem Setting nämlich kaum die Rede sein. Und wenn vier gleichzeitig anstürmen und ich von jeder Seite höre „Benny Uncle, Benny Uncle, Benny Uncle!“ und einer Fangen spielen will, der Zweite Verstecken, der Dritte Badminton, der Vierte ein Buch lesen will … Was soll ich tun? Jedem ein paar Minuten gönnen und dann zum Nächsten wetzen? Die anderen auf „morgen“ vertrösten? Ich schreibe nicht darüber, weil ich eine Antwort gefunden habe, sondern weil ich nicht weiß, ob es überhaupt eine darauf gibt. Aber es zehrt sehr an mir, weil ich mich eingeschränkt fühle in einem Bereich, über den ich keine Macht habe. Und irgendwie nach Gefühl vorgehen muss und nicht weiß, wann und ob ich richtig liege. Ich habe wirklich neuen Respekt vor Müttern von vielen Kindern … und noch viel zu lernen.

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Ich bin verliebt

Die Luft ist so verdreckt, dass meine Nase abends komplett dicht ist. Inzwischen schmecke ich den Staub sogar schon. Es gibt morgens kein warmes Wasser, also dusche ich kalt, außerdem ist das Licht im Bad kaputt, was es noch spannender macht. Der Abfluss vom Waschbecken leckt, und der Fußboden im Bad ist konstant nass (was sowieso völlig normal ist – die Nepalesen lieben nasse Bäder. Es ist fast wie in einem Hamam. Und weil sie kein Toilettenpapier benutzen, sondern sich den Hintern mit der Dusche abspülen, ist auch die Klobrille immer nass. Daher sollen wir unser Toilettenpapier nie im Bad liegenlassen, weil es sonst beim nächsten Besuch komplett durchweicht ist). Viel nützt die Dusche gar nicht, denn nach dem Fußmarsch runter nach Gangabu sind meine Füße und Unterschenkel wieder komplett verstaubt. Sie sind übersät von Mückenstichen (oder Flohbissen, wer weiß das schon), weil ich vergessen hab, das Mückenspray aufzutragen, das MJ und Ina mir geschenkt haben. (Allerdings juckt es nicht, weil ich das Anti-Juck-Gel aufgetragen habe, das MJ und Ina mir geschenkt haben.) Meine Hände sind den ganzen Tag lang klebrig, obwohl ich sie mir ständig wasche. Der Staub bewirkt, dass mir die Augen (trotz Kontaktlinsen) brennen. Durch die Stadt zu laufen bedeutet, sich die Straße mit Autos und Motorrädern teilen zu müssen, die auch durch die engen Straßen brettern. Die Regenzeit ist noch nicht angebrochen, aber jeden Nachmittag gießt und gewittert und hagelt es etwa zwei Stunden lang heftig. Das erfrischt zwar die Luft, verschlammt die Straßen jedoch noch mehr. Als Nachmittagssnack gabʼs neulich etwas, was wie Fingernägel aussah. Und die Konsistenz von Fingernägeln hatte. Der Smog dringt durch die undichten Fenster und Wände ins Haus, und wenn wir nicht täglich ausfegen, bildet sich schnell eine Staubschicht auf allem.


Und: Ich liebe es hier, und es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, wo ich gerade lieber sein möchte. Und ich bin vielleicht schon sowas von verliebt in die Kids.


Kathmandu hat unglaubliches Flair. Ich sauge alles, was ich sehe, in mich auf. Überall versteckt sind kleine und große Tempel. An jeder Ecke hängen Räucherstäbchen, die die staubige Luft mit einem irgendwie interessanten Aroma versehen. Menschenmassen ohne Ende, und zwar zu jeder Tageszeit und überall. In Thamel sieht man zwar durchaus auch einige Touristen, aber auch die Viertel, wo nur die Einheimischen einkaufen gehen, sind voll. Bei den Schlachtern liegen die Fleischstücke offen auf dem Tisch und werden von vielen Fliegen umsummt. Hier und da ein Schweinekopf. Oder ein halber. Kein Stand, kein Shop gleicht dem anderen. Die Papayas sind ungefähr fünf Mal so groß wie in Deutschland und ungefähr fünf Mal so billig. 

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Es geht los. Aber sowas von.

Die Nacht ist weniger durchwachsen als erwartet. Das Gekläffe und Gejaule der unzähligen Straßenhunde verklingt zu keiner Stunde, der Hahn ein paar Häuser weiter beginnt den Tag fröhlich um 4 Uhr. Dank Ohropax alles gar nicht so sonderlich problematisch. Durchschlafen kann ich trotzdem nicht, bekomme aber weitaus mehr Ruhe als befürchtet. Ich stehe um Viertel nach fünf auf, damit ich um halb fertig bin. Ellen, die Vereinsleiterin, die bis nach Ostern hier sein wird, ist schon bereit – sie hat ihr Zimmer in Dhapasi, nimmt mich aber heute mit nach Gangabu zu den jüngeren Kindern, damit ich die kennenlerne. Von 6 Uhr bis 8 Uhr morgen ist nämlich Lernen angesagt. Grundsätzlich an jedem Schultag, aber heute und morgen sind die Schuljahresabschlussprüfungen, dann zwei Wochen Ferien. Kurz nach dem nepalesischen Neujahr Mitte April beginnt dann das neue Schuljahr.


Der Marsch runter nach Gangabu dauert eine gute halbe Stunde, wobei Ellen mir gleich versichert, dass sie etwas langsamer ist und man normalerweise mit 20 bis 25 Minuten rechnen soll. Einprägen kann ich mir den Weg noch nicht, er ist auch überhaupt nicht linear. In Gangabu lerne ich Nadine kennen, die seit bereits sieben Monaten Praktikantin ist, eine echte Veteranin also. Sie kennt sich perfekt in allem aus und gibt mir eine freundliche kurze Einführung, dann muss aber gleich gelernt werden. Ich setze mich mit Sabitri nach oben. Sie hat heute ihre Abschlussprüfung in „Social“, was auch immer das bedeuten soll. Es wirkt wie ein bunter Mix aus Erdkunde und Sozialkunde, aber ein richtiger Zusammenhang erschließt sich mir nicht, denn auf die in sich schon seltsame Frage „What are some instruments doctors and shopkeepers work with“ folgt ein Schaubild, das aufzeigt, aus welchen drei Schichten der Planet Erde zusammengesetzt ist. „Lernen“ läuft hier übrigens anders ab, als wir es kennen. Denn sowas wie selbständiges Denken gibt es in den nepalesischen Schulen nicht. Die Kinder gehen im Unterricht Fragen mit den jeweiligen Antworten durch und lernen diese Wort für Wort auswendig, weil sie nämlich Wort für Wort abgefragt werden. Das Schulmaterial strotzt vor Fehlern, aber es wird davor gewarnt, etwas daran zu ändern. Im schlimmsten Fall ernten die Kinder dafür nämlich Ohrfeigen, weil sie Material verfälschen – obwohl sie es ja eigentlich korrigieren.


Ich gehe mit Sabitri die einzelnen Fragen durch, wobei sie nur bei einer einzigen Schwierigkeiten hat, die richtigen Jahreszahlen im Kopf zu behalten. Ich lasse sie noch ein paar der schwierigen Wörter aufschreiben. Nebenbei schlürfe ich die heiße Milch, die es hier morgens dazugibt. Es ist wohl ein Mix aus Kuh- und Büffelmilch, leicht gesüßt, und ehrlich gesagt leckerer als jegliche Milch, die ich aus Deutschland kenne. Vom Geschmack her ein wenig milchreisig.


Bevor es zum Frühstück geht, gibt es draußen auf dem Hof „Morgensport“. Nadine und Ellen machen Bewegungsspiele („Tu, was ich tue“ und dergleichen) und die Kinder brüllen begeistert mit. Ich hample vorne mit herum, obwohl ich die wenigsten Reimlieder auswendig kann (außer den PV-Liedern :D) und daher nur die Bewegungen in wenig imitiere. Zu einem leichten Entsetzen muss ich feststellen, dass die knapp 45 Kinder eigentlich alle gleich aussehen. Da hilft es auch nicht, dass alle Jungen den gleichen Haarschnitt haben, ebenso wie alle Mädchen. Ich frage ein paar nach ihrem Namen und bekomme ihn mitunter auch nach vier Versuchen noch nicht hin. Was die Kids natürlich äußerst lustig finden. „Iʼll just call you Superman, Iron Man and Batman!“, ruf ich den drei Jungen zu, worüber sie noch mehr lachen müssen. Na ja, irgendwann wird es mir schon gelingen, mir die nach und nach zu merken.


Beim Frühstücks-Dal-Bhat klappt das Essen mit der rechten Hand gleich schon besser als am Vorabend. Heute gibt es Bohnen als Gemüse. Reis und Linsensoße zum Frühstück mögen ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke sein, aber dadurch, dass ich schon seit über drei Stunden wach bin, finde ich es eigentlich überhaupt nicht schlimm. Und es schmeckt mindestens genauso lecker wie am Abend, wobei für die Jüngeren die Würze etwas entschärft wird, das hatte mir bei den Größeren noch mehr gemundet. Ellen isst mit dem Löffel und sagt mir, es wäre überhaupt kein Problem, wenn mir das lieber sei. Sie hätte sich an das Essen mit der Hand auch in fünfzehn Jahren nicht gewöhnen können. Mich stört das gar nicht, ich finde sogar, die Sauerei hat ihren Reiz. :)


Es ist noch etwas Zeit, bis der Bus kommt, also werden die Bewegungsspiele fortgesetzt. Die Kinder tanzen sogar schon einen kleinen Cha-cha-cha. Zuerst allein, dann in Pärchen. Alles ohne Musik, man brüllt den Takt einfach mit. Nadine und ich tanzen vor, die kleinen Pärchen machen begeistert mit. Es tanzen streng nur Jungen mit Jungen, nur Mädchen mit Mädchen. Ellen erklärt, obwohl sehr stark darauf geachtet wird, dass Jungen und Mädchen in allem gleich behandelt werden und es auch keinerlei geschlechtsspezifische Aufgaben in der Einrichtung gibt, ist es trotzdem enorm schwer, die Geschlechter zu mischen. Da sind selbst die Kleinen kulturell schon arg geprägt.


Wir begleiten die Kinder zum Bus. Mir braucht niemand erklären, was ich da machen muss, denn zwei kleine Jungen ergreifen rechts und links meine Hand und ziehen mich nach vorne, alle anderen stellen sie paarweise hinter uns, dann geht der Marsch die Straße runter, wo wir auf den Bus warten. Als die Kinder an uns vorbeirennen, um im Bus Platz zu nehmen, gibt uns jeder noch ein High Five, das allerdings sehr individuell ist. Mal eine Hand, mal beide, mal ein Mix.


Nadine und ich nehmen einen Bus zum Flughafen und holen zwei weitere Praktikanten ab, die heute ankommen. Damit sind wir insgesamt zu acht, was relativ viele sind (allerdings sind Pia und Manu heute mit Anna und Nina auf eine einwöchige Rundreise aufgebrochen, insofern sind wir nur offiziell acht). Es ist interessant, mit Nadine zu plaudern, die, gerade mal 19, so reif wirkt, einfach durch alles, was sie in all den Monaten über diese Kultur gelernt hat. Während wir auf Leo und Gwen warten, entdecken wir außerdem das eifrige Empfangskomitee eines indischen Nobelpreisträgers, der heute nach Kathmandu kommt. Man heißt ihn herzlich willkommen und überhaupt ihn hierzu mit etlichen Schals. Ich würde eingehen. Ich liebe die Temperatur, aber die Sonne brät mir ganz schön den kahlen Kopf. 1300 Meter Höhenunterschied intensivieren den Schmorgrad doch noch mal, aber ich hab mich ja eingecremt, keine Sorge.


Das Taxi bringt Leo und mich nach Dhapasi, und hier verbringen wir auch den Nachmittag und Abend. Ich spiele mit ein paar Jungs Scrabble (meine Oma wäre so stolz auf mich), da es draußen gerade gießt, dann tippt mir Umesh auf die Schulter. Er hat gehört, dass ich Klavier spiele, und hat im Erdgeschoss bereits das Keyboard bereit gestellt. Es ist wirklich ein ganz kleines Krüppelteil, auf dem man nicht mehr als drei Tasten runterdrücken darf, sonst funktioniert nix mehr. Er spielt mir stolz eine kleine nepalesische Melodie vor, die er im Klavierunterricht gelernt hat. Ich hab ein bisschen Chorliteratur mitgebracht und spiel und sing ihm „Lean on me“ vor, dann gehen wir die Melodie nach und nach durch. Irgendwann spielt er sie und ich sing nur noch mit, und er freut sich wie soʼn Schneekönig. Das Wetter hat sich gelegt und ich spiele noch draußen mit Sunil, JP, Sujan, Ramesh, Dinesh und Sujan 2 Ball (einer steht in der Mitte und muss ihn fangen). Die Mädchen flechten Bänder, die übrigen Jungs spielen Badminton. So genau inmitten der Ballrunde. Ich nehme an, sie könnten auch auf den Bolzplatz gehen und dort spielen, aber irgendwie fühle ich mich noch nicht in der Lage, solche tollkühnen Vorschläge zu machen.


Dann holen die Jungs eine englischsprachige Zeitung und scharen sich um mich. Was genau sie wollen, verstehe ich gar nicht – übrigens fällt es mir ohnehin noch sehr schwer, sie zu verstehen, denn ihre nepalesische Aussprache von Englisch ist tricky. Irgendwie geht es wohl um die Weltmeisterschaft im Cricket, aber wir kommen auf Fußball zu sprechen, zu diesem Thema habe ich schließlich bedeutend viel beizutragen. Aber ich brauche nur ein paar Namen von deutschen Nationalspielern einwerfen und ernte Jubel, während die Jungs, die hinter mir stehen, neugierig meine Glatze begrabbeln. Man gönnt sich ja sonst nichts.


Vor dem Abendessen reihen sich alle vor dem Haus auf. Leo fragt Navaraj, der das Dhapasi-Haus leitet, was genau wir jetzt tun sollen, weil die Kids alle so erwartungsvoll schauen. Ich glaube, eigentlich warten sie nur darauf, dass das Essen fertig aufgetischt ist, aber Navaraj schlägt uns vor, ein bisschen Abendsport mit ihnen zu machen. Da ich seit ner Woche keinen vernünftigen Sport getrieben habe, gibt es also erst einmal ein sattes Insanity-Warmup. Na gut, in einer abgespeckten, kinderfreundlichen Variante. Aber spätestens jetzt hab ich das Gefühl, endlich angekommen zu sein. :)


P.S. Ich weiß nicht, ob sich gegebenenfalls noch Magenprobleme oder so einstellen, aber bislang merke ich überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil: Mein Stuhlgang heut war einfach hervorragend. Ich musste nur ein einziges Mal abwischen, schon was alles sauber. Welch ein herrlicher Segen!

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Schwarze Popel …

… sind nur ein Punkt von vielen, an die ich mich in den kommenden Wochen und Monaten werde gewöhnen müssen. Aber von vorn.


Ich fliege mit Turkish Airlines über Istanbul nach Kathmandu. Planmäßiger Aufenthalt in Istanbul waren vier Stunden, die einfach mal auf acht verlängert werden, was etwas anstrengend ist. Der Flughafen ist glücklicherweise nicht völlig überlaufen, aber einen wirklich bequemen Platz für acht Stunden findet man auch nicht. Und wenn man dann mal eindöst, geht der Lautsprecher an und eine Dame, die verdächtig nach Asian reporter Tricia Takanawa klingt, reißt mich aus den Träumen. Im Flugzeug selbst komme ich glücklicherweise schnell zur Ruhe, werde dann aber buchstäblich um 1 Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen mit der Frage: „Chicken or meat?“ Immerhin servieren Turkish Airlines Mahlzeiten, die direkt in die Kategorie „lecker“ verbucht werden können.


Die Sicht aus dem Flugzeug ist leider nicht überragend, aber die im diesigen Wetter angedeuteten Berggipfel trotzdem beeindruckend. Sonnige 26°C erwarten mich schließlich nach der Landung, und Pia (Praktikantin seit 2 Monaten) und Manu (Praktikant seit vier Wochen) machen mich auch gleich ausfindig. Per holprige Taxifahrt (Hupen gehört zur nepalesischen Autofahrkultur, Verkehrsregeln hingegen nicht) geht es zum Haus nach Dhapasi.


Es ist nämlich so. Es gibt zwei Häuser – eines in Dhapasi (hier sind die älteren Kinder untergebracht, also so ab 12), einen Fußmarsch von 25 Minuten entfernt noch eines Gongabu, wo die jüngeren Kinder wohnen und betreut werden. (Eigentlich gibt es auch noch ein drittes mit Apartments für die mittlerweile erwachsenen Kinder, die inzwischen aufs College gehen.) Mein Zimmer, das ich mir im Laufe der Zeit mit bis zu drei anderen Jungs teilen werde, ist in Dhapasi, wo genau ich eingesetzt werde, steht noch nicht ganz fest. Die größeren sind wohl schon recht selbständig, die jüngeren brauchen noch mehr Hilfe, auch beim Lernen.


Kathmandu ist vor allem eines: ziemlich verdreckt. Die eher kleinen Häuser haben schäbige Fassaden und sind teilweise mit Kabelsalaten verbunden, die darauf schließen lassen, dass hier jeder sein eigener Elektriker ist. Die Stadtstraßen sind gut gemeinte Feldwege mit etlichen Schlaglöchern, auf die aber kein Verkehrsteilnehmer Rücksicht nimmt. Beim Atmen merkt man vom Smog nicht unbedingt etwas, aber wenn man dann die Nase schnaubt, tja, da sind die Popel dann schwarz.


Das Haus in Dhapasi besteht aus einem kleinen Bolzplatz neben dem Hof, im Erdgeschoss befindet sich der „Study Room“, der gleichzeitig Esszimmer ist. Hier sind auch zwei Schlafzimmer für Praktikanten, eines für Mädchen, eines für Jungs. Oben gibt es einen „Play Room“ mit Fernseher und verschiedenen Gesellschaftsspielen und weiteren Freizeitmöglichkeiten, auch die Schlafzimmer der Kinder befinden sich hier. Wie unsere Zimmer sind sie spärlich bekleidet – außer Hochbetten ist eigentlich nichts drin. Die Kinder haben auch kein Eigentum – es gibt keine Bilder an den Wänden, keiner hat ein eigenes Kuscheltier. Alles, was hier vorhanden ist, gehört allen gemeinsam.


Das Erstaunliche ist, dass ich es gewohnt bin, in der Frankfurter Innenstadt in der im Konsum erstickenden westlichen Gesellschaft in grimmig dreinschauende Gesichter zu blicken, wohingegen hier jeder nett lächelt. Die Leute strahlen was aus. Haben positive Energie. Haben also eigentlich nichts, aber eben das Wesentliche im Leben.


Manu und Pia führen  mich durchs Haus, aber ich stelle letztlich nur meinen Koffer ins Zimmer, dann fahren wir mit dem Minibus nach Thamel, das Touristenviertel. Minibusse sind genau das: Minibusse mit drei Sitzreihen. Zu klein, um darin zu stehen. Sogar für die kleinen Nepalesen. Was niemanden stört, denn in diesen Bussen gibt es kein „voll“. Ständig hält der Bus an und es wird voller. Bis jeder jedem auf dem Schoß sitzt und in unnatürlicher Haltung seinen Platz gefunden hat. Eine Sardinenbüchse im wahrsten Sinne des Wortes. Also eigentlich 7 Sitzplätze, aber wir waren da mit mindestens 20 Personen drin. Das muss man erstmal schaffen.


Wir sind ein wenig durch die Straßen gelaufen, die einander (zumindest in diesem Teil der Stadt) sehr ähnlich sehen. Die Geschäfte, auch die Supermärkte, sind sehr klein. Es gibt deutsche Bäckereien („Weizen Bäckerei“) und alles ist spottbillig. Außer Alkohol und deutscher Schokolade. So holen wir uns was zu Mittag im OR2K (or = Licht, also „Light to Kathmandu“), einem charmanten auf Touristen angelegten Lokal, wo man die Schuhe aussieht und sich in eine auf Unterschenkel höhe platzierte Polsterlandschaft mit ein paar Tischen dazwischen begibt. Ich esse ein fantastisches Naan, so heißt das hiesige Fladenbrot, mit Hummus, das mit Pilzen und Zwiebeln verfeinert wurde. Dazu ein erfrischendes Bananen-Lassi. Für insgesamt umgerechnet 4 Euro. Oh, hier werde ich es mir die nächsten Monate noch gut gehen lassen!


Wieder zurück (auf der Rückfahrt waren wir wohl noch ein paar Busgäste mehr) sind die Kinder eingetroffen und beäugen mich neugierig. „Whatʼs your name, uncle?“, fragen sie mich. So sprechen die Kinder die Praktikanten, die „volunteers“, nämlich an, mit „Uncle“ oder „Auntie“. Die größeren Kinder sagen wohl manchmal auch „Brother“ oder „Sister“. Da „Uncle Ben“ doch sehr nach Reis und Spider-Man klingt, habe ich von vornherein beschlossen, vorerst zu Benny zurückzukehren. Für die Schule haben die Kids heute schon gelernt, es sind nämlich Examensvorbereitungen, weil das Schuljahr fast vorüber ist. Die Kinder haben also weniger Unterricht. Ich pflanze mich also direkt in die gemütliche Runde von vier Kids, die Phase 10 spielen. Es dauert ein kleinwenig, bis sie meinen Sarkasmus durchschaut haben, dann geht die Post ab und wir haben sehr viel Spaß. Ein Mädchen fragt: „How long will you be here, uncle?“ Ich erwidere: „Five months.“ Sie sagt: „You will make us laugh so much in that time!“ Das ist doch ein schöner Start.


Abends gibt es mein erstes Dal Bhat. Das nepalesische Nationalgericht gibt es hier zum Frühstück und zum Abendessen. Bei dem Linsengericht mit Reis variiert letztlich das Gemüse, heute Blumenkohl. Es ist superköstlich – und es wird komplett mit der Hand gegessen. Nicht nur das: Die linke Hand gilt als unrein, erklärt mir Pia gleich, als ich beginnen will, daher müsse auch ich auf rechts ausweichen. Also mit der Hand Reis und Soße zu verspeisen, ist schon mal eine Herausforderung für sich, dann noch mit der falschen … Aber: Irgendwie gehtʼs ja. Und Durchfall hatte ich bislang auch noch nicht!


Klingt schon mal nach einem guten Start, oder?

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Morgen, Kinder  …

Morgen geht’s los. Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft ich meine To-do-Liste durchgegangen bin, und es beruhigt mich nicht, dass mir bei jedem Lesen noch etwas eingefallen ist, was ich vielleicht noch dringend erledigen oder besorgen sollte. Nun ist’s eh zu spät, und auch wenn ich gar keinen Grund habe, mich verrückt zu machen, weil ich mich nun ja echt schon lange auf das bevorstehende Abenteuer vorbereite, weiß ich jetzt schon, dass die Nacht eher ein schlafloses Herumgewälze ist. Was ja kein Problem ist, denn Flugzeuge sind ja bekanntermaßen tierisch bequem und ich werde bestimmt den Flug durchschlafen. Und nicht nur das – ich komme planmäßig am Dienstagmorgen um 7 Uhr in Kathmandu an und habe folglich noch den kompletten Tag vor mir, ehe ich dort meine erste Nacht zubringen werde, ebenfalls schlaflos, weil ich die erste Nacht an einem fremden Ort immer schlecht schlafe. Erwähnte ich, dass mich am Donnerstag der innerhalb von vier Wochen DRITTE Infekt erwischte und ich nur noch am Herumhusten bin?

Weshalb ich mein Leiden offen kundtue: Das tu ich doch immer. In diesem Fall schreibe ich es mir jedoch von der Seele, weil es nämlich eigentlich von gar keiner Bedeutung ist und meine Vorfreude nicht trübt. Ich habe vor über anderthalb Jahren den Entschluss gefasst, in Nepal bei diesem Projekt mitzuhelfen, und ich kann es eigentlich gar nicht fassen, dass die Vorbereitungszeit nun tatsächlich vorbei ist und es morgen losgeht. Ich habe mich mit ehemaligen Praktikantinnen ausgetauscht, bin sämtliche Infos wieder und wieder durchgegangen, aber so richtig vorbereitet fühle ich mich trotzdem nicht, denn auch wenn ich in etwa weiß, wie der Tagesablauf sein wird und welche Aufgaben ich dort habe, ist es dennoch eine völlig neue Art von Leben, an die ich mich anders als durch learning by doing gar nicht werde gewöhnen können. Ich bin gespannt, wie schnell ich die Namen der Kinder lernen werde, wie schnell das Eis brechen wird. Ich bin gespannt, wie die anderen Praktikanten drauf sind und welche neuen Freundschaften ich schließen werde. Ich bin gespannt auf die eigentliche Arbeit mit den Kindern, auf den Kulturschock, auf das nepalesische Essen, auf die höchsten Berge der Welt. Ich bin gespannt, wie der Dienst am Nächsten mir persönlich hilft, in mich zu gehen und meine Prioritäten zu ordnen und ob der Verzicht auf den westlichen Luxus, auf den ich mich eigentlich ziemlich freue, dann doch schwerer ist als erwartet. Ich bin gespannt, ob ich mit der sozialen Ungerechtigkeit, die dort im Land herrscht, zurechtkomme, und wie demütig mich die Dankbarkeit stimmen wird, die die Kinder vermutlich für alles zeigen, was für mich selbstverständlich ist.

Auf einen neuen Lebensabschnitt!

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