Das Gleichnis vom Desinfektionsgel


Es ist mir mitunter schon fast peinlich, wie königlich wir Praktikanten behandelt werden. Wir brauchen nicht nur nichts selbst zu machen, sondern selbst wenn wir wollen, lässt man uns nicht. Das liegt nicht daran, dass man uns für inkompetent hält, sondern weil wir Gäste hier sind. Gäste werden eben so behandelt. Ich habe mir noch nicht einmal mein Essen selbst holen, geschweige denn den leeren Teller wegbringen müssen. Bekommt nur irgendjemand mit, dass ich den Wasserbecher nachfülle, ist er zur Stelle, nimmt ihn mir aus der Hand und hält ihn unter den Wassercontainer. Gestern morgen hat sich Ishwar seinen Becher aufgefüllt und ich habe mich neben ihn gestellt, da hat er meinen Becher genommen und das Wasser, das er bereits in seinen gefüllt hatte, in meinen umgefüllt. Morgens zwischen 5:00 und 6:00 Uhr herrscht reger Betrieb auf der Toilette, denn es gibt nicht viele, und es muss ja jeder. Aber ich brauche nur das Zimmer verlassen und werde sofort vorgeschickt. „No, I can wait“, sage ich. Keine Chance. „You go, uncle!“ Und egal wie sehr ich beharre, kein Kind geht, ehe ich nicht war. Mindestens zweimal am Tag wird uns ein Becher mit heißer Zitrone oder Tee gebracht. Immerhin darf ich die Wäsche selbst waschen (von Hand, es gibt keine Waschmaschine) und auch aufhängen, das ist so abgemacht mit der hiesigen Leitung. Das wird eine ganz schöne Umgewöhnung, diesen Service nicht mehr zu haben, wenn ich irgendwann einmal wieder in Deutschland bin. Aber vor allem ist mir wichtig, dass ich nachhaltig meinen Dank dafür zum Ausdruck bringe. Denn ich bewundere diese Einstellung zutiefst.

Typisches Dal Bhat: Reis (Bhat) mit Linsensoße (Dal), Gemüsebeilage (meist mit Kartoffeln, heute Blumenkohl) und „Salad“ (Stück Karotte und Gurke)
Typisches Dal Bhat: Reis (Bhat) mit Linsensoße (Dal), Gemüsebeilage (meist mit Kartoffeln, heute Blumenkohl) und „Salad“ (Stück Karotte und Gurke)

Ich bin zwar nicht davon ausgegangen, hungern zu müssen, aber irgendwie hatte ich gedacht, es gäbe schon recht penibel eingeteilte Portionen für jeden. Dabei gibt es zu jeder Mahlzeit reichlich und ein Angestellter geht während des Essens herum und bietet von allen drei Bestandteilen des Dal Bhats – Reis, Soße und Gemüse – Nachschlag an. „Just a little bit“, kann man sich hier sparen. Daher nehme ich inzwischen auch keinen Reis mehr nach, weil es sonst einfach zu viel wird. Und ich esse ohnehin langsam. Ich! Dabei bin ich im Freundeskreis und in der Familie doch der Schlinger und immer als erstes fertig, weil ich nicht so sorgsam kaue, wie ich sollte. Hier bin ich immer einer der Letzten. Manche Kids sind unglaublich flink. Ich habe mich gut an das Essen mit der Hand gewöhnt und bin auch gar nicht ungeschickt, aber trotzdem komme ich bei dem Tempo nicht mit. Dass sich hier jeder das Essen schnell reinstopft, hat sicher damit zu tun, dass es mehr um den Zweck geht, weniger um den Genuss. Gibt ja auch immer das Gleiche. Bei den Kleinen hat vorgestern jeder zwischendurch ein Kaugummi à la Hubba Bubba bekommen, und das wurde dann stundenlang bis zum Mittag im Mund behalten, auch wenn der Geschmack nach fünf Minuten verflogen ist. Aber sowas ist halt etwas Besonderes, und das ist den Kindern auch sofort bewusst.

Montagabends gibt es kein Dhal Bat, sondern Roti (Fladenbrot), Razma (Curry aus roten Bohnen) und Curd (so ähnlich wie Quark, etwas flüssiger).
Montagabends gibt es kein Dhal Bat, sondern Roti (Fladenbrot), Razma (Curry aus roten Bohnen) und Curd (so ähnlich wie Quark, etwas flüssiger).

Das Essen läuft außerdem sehr geordnet ab. Vor jeder Mahlzeit stellen sich die Kinder in beiden Häusern auf dem Hof in Reih und Glied auf. Sie gehen dann reihenweise rein an die Tasche.  Erst wenn alle sitzen, wird begonnen: Einer wünscht guten Appetit, darauf folgt ein einstimmiges „Thank you!“, dann beginnt die Schlemmerei. Das Ende der Mahlzeit ist weniger geordnet. Wer fertig ist, steht auf und bringt seinen Teller in die Küche. Die für den Essensdienst eingeteilt sind, räumen auf und fegen Tisch und Boden. Und, so als Tipp für alle, die mal die nepalesische Küche genießen wollen: Wenn Chili angeboten wird, eher vorsichtig sein. :) Das Essen in Dhapasi ist ohnehin würzig (aber so, dass es mir gerade recht ist), gestern hab ich mir ein wenig extra Chili drüberstreuen lassen. Mit ein bisschen meine ich auch wirklich ein bisschen. Vielleicht ein halber Teelöffel. Ich bin fast gestorben! Das Brennen im Mundraum und an den Lippen ist etwa zwei Stunden nach dem Essen so langsam abgeklungen. Der nächste Stuhlgang war ebenfalls die reinste Feuerwonne. :)

Drei Kids aus meiner Desinfektionsgel-Gang
Drei Kids aus meiner Desinfektionsgel-Gang

Ich kenne nun den Weg von Dhapasi nach Gangabu sehr gut und lege ihn relativ flink zurück. Mal gehe ich allein, mal mit Leo und Steffen (der Donnerstag angekommen ist) gemeinsam, je nachdem, wer wann wo gebraucht wird. Ich liebe die Strecke. Wir haben bereits unsere Lieblingsstände mit frittierten Teigringen (donutähnlich), frischem Obst und so weiter. Mein Lieblingssteil der Strecke ist jedoch der Weg über einen kleinen Hügel, auf dem ein Tempel steht. Die Kinder aus dieser Nachbarschaft strömen jedes Mal auf die Straße, wenn wir vorbeikommen, grüßen uns herzlich und wollen mit uns sprechen, spielen und laden uns zum Tee ein. Überhaupt werden wir von Kindern und Jugendlichen sehr oft angehalten. Gebettelt wird nie. Sie wollen einfach Englisch mit uns sprechen und haben Interesse daran, wer wir sind und was wir machen. MJ und Ina haben mir kleine Flaschen mit Desinfektionsgel geschenkt, die nicht nur diesen sterilen Geruch haben, sondern sehr angenehm fruchtig duften. Als wir den Kindern das erste Mal begegnet sind, habe ich jeden von ihnen einen Tropfen gegeben. „It will clean your hands and it smells very nice!“, habe ich erklärt. Sie waren völlig begeistert. Nun rennen mir also jedes Mal, wenn ich über den Hügel komme, bereits von Weitem erst drei, vier Jungen entgegen, dann kommen noch fünf bis sechs weitere Kinder dazu, alle mit ausgestreckten Händen. „Please a drop!“, rufen sie. Ich gebe jedem natürlich nur einen winzigen Tropfen, damit die Flaschen so lange wie möglich anhalten. Natürlich ist es keineswegs verkehrt, dass sie sich mal die Hände desinfizieren und die dann sogar gut riechen, aber es geht hier tatsächlich mehr darum, wofür das Gel eigentlich steht. Die Nepalesen haben das Bild, dass alle Europäer schwerreich sind. (Im Vergleich zu ihnen sind wir das vermutlich auch.) Fruchtig duftendes Handgel ist ein Luxusartikel, etwas total Außergewöhnliches und Besonderes, und sie sind überglücklich, dass der reiche Deutsche, der jeden Tag mit ihnen spricht, ihnen immer wieder etwas davon abgibt. Sie haben natürlich auch schon gefragt, ob ich ihnen nicht die ganze Flasche geben kann. Vielleicht schenke ich ihnen wirklich eine davon. Aber ich will mir erst noch ein besseres Bild verschaffen, denn die Flasche an sich kann ja nur einer haben und sie sollen dann schon fair miteinander teilen. Also mal gucken. :)

Am Samstagvormittag hat mich Ellen in die Gemeinde mitgenommen. Es war Gemeindekonferenz und der Gottesdienst war relativ gut besucht (zwischen 60 und 70 Anwesende, würd ich sagen). Der Missionspräsident der Indien-Mission Delhi hat präsidiert und hatte die Hauptansprache. Die Gemeinde ist gar nicht weit von Dhapasi entfernt. Die Busfahrt dauert nur knappe zehn Minuten, und es ist die Hauptstrecke Richtung Flughafen, was bedeutet, dass den lieben langen Tag lang minütlich ein Bus vorbeifährt. Die Kirche hat ein Grundstück angemietet mit zwei Häusern. In dem einen ist die Kapelle eingerichtet, in dem anderen alle weiteren. Je nachdem, wann ich es schaffe, die Versammlungen wieder zu besuchen, werde ich sicher auch mal Fotos schießen. Aber da Ostern vor der Tür steht und die Kids auch an westliche und christliche Kulturen herangeführt werden, saß ich da während der Versammlung und hab überlegt, ob ich was beitragen kann. Natürlich werden Ostereier bemalt und es gibt Osterschoki, aber Ellen ist es auch wichtig, dass die Kinder die Ostergeschichte hören und verstehen, weshalb das Christentum dieses Fest begeht. Ich habe von LDS.org das Video „He Is Risen“ heruntergeladen, das wir gemeinsam anschauen werden, vielleicht spielen wir die Ostergeschichte auch nach.

Leo übt mit Ramesh „Love is spoken here“ ein. Es dauert keine Viertelstunde, bis Ramesh die Akkorde beherrscht.
Leo übt mit Ramesh „Love is spoken here“ ein. Es dauert keine Viertelstunde, bis Ramesh die Akkorde beherrscht.

Außerdem übe ich nun jeden Tag mit den Älteren das PV-Lied „Love is spoken here“ („Liebe fühl ich hier“). Ich habe den Text an einigen Stellen abgeändert. Es geht also nicht mehr um Vater, Mutter, Kind, sondern allgemein um Familie, und da die Kinder einander als „brothers“ und „sisters“ sehen, lässt sich das dann ganz gut übertragen. Begriffe wie „priesthood power“ musste ich auch rausschmeißen. Dafür habe ich mir Bewegungen überlegt, die die Kinder machen. Text und Bewegungen haben sie sehr schnell gelernt, aber noch klingt es furchtbar schräg. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob das noch besser wird. :D Die meisten können einfach nicht besonders gut singen. Aber sie sind sehr begeistert und das ist mir in diesem Fall viel wichtiger. Nur die Strophe, wo sich Jungs- und Mädelsstimme überschneiden, werde ich wohl einfach weglassen, das klingt dann sonst eher nach Gebrüll. Ich werde das Lied am Sonntag sicher aufnehmen und im Blog einfügen. Einer der Jungen, Ramesh, hat die Bewegungen mitgemacht, aber nicht mitgesungen. Er ist von seiner ganzen Art her sehr zurückhaltend, aber ein unglaublich feiner, aufmerksamer Bursche. Er ist auch sehr witzig, wie man feststellt, wenn man Zeit mit ihm verbringt. Er ist einer von drei Kindern aus Dhapasi, die bei der eigenen Familie leben. Ihre Mütter sind nämlich Hausangestellte, und die Angestellten der Einrichtung haben die Option, ihre Kinder hier zu integrieren, was sie gerne tun, weil diese so natürlich eine vernünftige Ausbildung erlangen. Außerdem bekommt Ramesh samstags, wenn der Musiklehrer kommt, Gitarrenunterricht – und er spielt wirklich toll und verbringt viel Zeit am Nachmittag an der Gitarre. Nach der ersten Liedprobe fragt er mich, ob ich die Akkorde des Liedes hätte, und ich schlag ihm sofort vor, dass er das Lied auf Gitarre begleitet. Da strahlt er gleich übers ganze Gesicht und freut sich über die Idee. Und mir wird ganz warm ums Herz, weil ich wieder einmal das Gefühl hab, dass für den „Einzelnen“ etwas getan werden konnte.

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama und Papa (Mittwoch, 01 April 2015 11:47)

    Deine Berichte sind sehr interesssant und man sich sogar einigermaßen in die Situationen hineinversetzen, die du erlebst. Wir freuen uns auf weitere Einzelheiten.

  • #2

    Jessi (Freitag, 03 April 2015 07:54)

    Ich finde es so was von cool, wie Du so in eine Situation eingehst, und diese süsse Kinder als einzelnen Schätzen handelst. Jedes wertvoll und einzigartig. Bravo Benny!

    And with that whole basketball hoop in every Ami driveway you're pretty spot on, and it's sometimes left me pondering for quite awhile just how entitled kids are and how complacent attitudes can become. And that whole church umitt thing...

  • #3

    Sara (Mittwoch, 22 April 2015 18:09)

    nice arrangement! und danke für deine berichte. es ist eine wahre freude deine beschreibungen und gedanken zu lesen.