Schon bevor ich überhaupt nach Nepal gekommen bin, hatte ich mir fest vorgenommen, mit den Kids in die Schule zu fahren und mir einen Eindruck davon zu verschaffen, wie der Schulalltag abläuft, wie die Qualität des Unterrichts ist, inwiefern sich die nepalesischen Klassenverbände von den deutschen unterscheiden, wie die Zustände der Gebäude sind und so weiter. Da ich Kathmandu inmitten der Schuljahrsabschlussprüfungen erreichte und dann erst einmal zwei Wochen Ferien stattfanden, verschob ich das Vorhaben. Als die Schule wieder losging, wollte ich nicht gleich in den ersten paar Tagen als womöglich eher skeptisch angesehener Gast auftauchen – und dann folgte das Erdbeben mit vier weiteren Wochen Unterrichtspause. Nun ist es mir nach drei Monaten Aufenthalt tatsächlich geglückt, das in die Tat umzusetzen, was ich schon lange vorhatte.
Ich versuche mich schon die ganze Zeit zu entsinnen, wie ich mich verhalten habe, wenn in der Schule ein Gast kam. Also etwas Vergleichbares wie mein Besuch an der SEB School („Samakhushi Englisch Boarding) gabʼs sicher nie, aber ich weiß durchaus noch, dass wir beispielsweise neuen Referendaren äußerst neugierige Blicke zuwarfen, manchmal dumm tuschelten und alberne Witze rissen – wie Pubertierende nun einmal sind. Mit vielen wurden wir auch über die Zeit hinweg warm, aber das setzte natürlich voraus, dass wir sie regelmäßig sahen. Auch Austauschschüler wurden eher erst einmal beäugt, anstatt dass man in Massen auf sie zustürmte – wie es halt in der (nord-)deutsch-reservierten Art verankert ist.
Lukas und ich werden jedoch bei der Ankunft fast wie Superstars gefeiert. Weil wir morgens zum Lernen unten in Gongabu waren, sind wir mit dem Schulbus der Kleinen zur Schule gekommen, und kaum haben wir den Schulhof betreten, werden wir von allen Seiten umringt. Klar: Von den 500 Schülern kennen wir fast 90, das macht schon was aus. Aber auch viele fremde Kinder kommen angelaufen, wollen unseren Namen wissen. Unsere Kids aus Gongabu und Dhapasi stellen uns ihren Freunden vor. Und natürlich werden wir von quasi jedem angefleht, doch bitte seine Klasse zu besuchen. Das wäre natürlich ohnehin nicht möglich, aber wir wollen auch nur vier Schulstunden bis zum Mittagessen bleiben, die volle Dröhnung gibt es vielleicht ein anderes Mal. Es ist ungefähr Viertel nach neun, als wir ankommen, und gegen halb zehn beginnt das (der?) morgendliche Line-up: Das bedeutet, alle Schüler stellen sich klassenweise auf. Einer der Schulsprecher ist vorne am Mikro und gibt fast wie beim Militär das Kommando an. Zwei der größeren Schülern stehen an großen Trommeln und geben den Rhythmus vor. Der Anblick ist zum einen etwas befremdlich, weil ich es aus der deutschen Kultur nicht kenne und die Kids ja eben eigentlich noch „ganz normal“ waren – also schreiend über den Schulhof gelaufen sind, Basketball gespielt haben, schnackend in der Ecke gesessen haben, also das, was ich auch vom deutschen Schulhof kenne (bis auf die heimlichen Raucher, die es hier tatsächlich an keinen Schulen gibt). Nun folgen sie schon fast apathisch den Aufrufen zur Disziplin – möglicherweise auch ein seltsamer Anblick, weil wir Deutschen halt historisch traumatisiert sind (schrieb ich eigentlich jemals von den diversen Gesprächen, die ich schon über Adolf Hitler geführt habe? Viele Nepalesen sind nämlich Fans von ihm – aber hierauf gehe ich heute mal nicht näher ein. :D)
Schließlich laufen die ersten Klassen in ihre Räume (alles äußerst geordnet: Die Kleinen zuerst, und jeder muss jede Line ablaufen, was für die Großen natürlich den längsten Weg bedeutet). Lukas und ich stellen uns vor den Klassenraum der 8A, auf deren Stundenplan als Erstes Englisch steht. Wir haben uns der Schulleitung bereits kurz vorgestellt und wurden freundlich in Empfang genommen und mit heißer Zitrone versorgt. Ich erinnere mich noch an meine beiden Schulpraktika und wie mir doch so einige Lehrer die Stippvisite ihres Unterrichts verwehrt haben, einfach weil sie keinen Bock auf Praktikanten hatten. Dank der universalen nepalesischen Gastfreundschaft mache ich mir überhaupt keine Sorgen, dass wir uns überall reinsetzen dürfen, wo wir wollen, aber ich finde es trotzdem höflich, die jeweiligen Lehrer um Erlaubnis zu bitten. Ich bin zugegebenerweise kein „fertiger“ Lehrer, also entspricht es natürlich nicht der vollen Wahrheit, mich als Englisch- und Deutschlehrer zu betiteln, aber ich glaube, dass das trotzdem eine gute gemeinsame Grundlage schafft. Ich versuche auch, den einzelnen Lehrern nicht das Gefühl zu geben, sie bespitzeln zu wollen, sondern ich bin ja aufrichtig daran interessiert, mit eigenen Augen zu sehen, wie der nepalesische Unterricht abläuft. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich im Rahmen der Hausaufgabenhilfe nachmittags schon über den ein oder anderen Lehrer ordentlich aufgeregt habe – teilweise über die Aufgabenstellung, die sie den Kids aufbürden, und teilweise dass sie Antworten, die ich mit den Kids erarbeitet habe, als falsch angekreidet haben, weil die Antwort ja nicht Wort für Wort aus dem Schulbuch kopiert wurde. Insofern möchte ich doch ein paar dieser Leute gern mal persönlich kennenlernen.
Allgemein ist zu beobachten, dass die meisten Lehrer mit nur wenigen Ausnahmen sehr jung sind – also bestimmt erst Anfang 20. Die Englischlehrerin der 8A scheint eher in meinem Alter zu sein (und entpuppt sich später als Frau des stellvertretenden Schulleiters), sehr zierlich, sehr freundlich. Während der Schulhof sehr modern wirkt, sind die Klassenräume doch eher spartanisch: winzig, mit kleinen blauen Holztischen und Bänken dahinter, nur ein schmaler Mittelgang dazwischen. Die Wände kahl. An der Decke immerhin ein brummender Ventilator, der die schwüle Luft halbwegs erträglich macht. Vorne an der Wand ein großes Whiteboard. Ich setze mich neben J.P., Lukas setzt sich hinter mir neben Norden – nun, wir setzen uns erst, nachdem sich alle gesetzt haben. Denn wie ich es fast schon erwartet habe, wird die Lehrkraft im Stehen begrüßt, erst auf ihr Signal hin setzen sich die Schüler. Mädchen und Jungen sitzen nicht zusammen, allerdings gibt es einen ordentlichen Jungenüberschuss, weshalb es nicht möglich ist, alle Mädchen auf der einen und die Jungen auf der anderen Seite zu haben, wie wir es später in anderen Klassen erleben. Zunächst wird die Anwesenheit überprüft – aber es wird kein Name aufgerufen, sondern eine Nummer. „Yes“, erschallt es nach jeder Nummer. Ich ahne schon, was dahinter steckt, aber ich frage J.P. trotzdem nach der Bedeutung der Nummern. Und ja, ich habe recht: Es ist das Ranking. Das heißt, der Klassenbeste ist Nummer 1, dann geht es runter bis Nummer 33, dem Klassenschlechtesten. Anschließend sammelt die Lehrerin Geld ein – denn, das ist die Regel im Englischunterricht, es darf nur Englisch gesprochen werden. Wer in Nepali zurückfällt, muss fünf Rupien (ungefähr 1 bis 2 Cent) blechen. An sich finde ich das gar keine schlechte Idee, aber es nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch, bestimmt zehn Minuten. Und auch danach gibt es noch derart viel organisatorisches Geschwätz, dass ich mich allmählich frage, ob ich heute überhaupt noch Unterricht zu sehen bekomme. Aber nein: Die übrige Zeit bekommen die Schüler eine schriftliche Aufgabe, die sie auf die Zwischenprüfung in zwei Wochen vorbereiten soll. Ich bin ein bisschen enttäuscht – eine Englischstunde ohne jeglichen Unterricht hätte ich nun nicht erwartet. Auch schön: Als die Lehrerin geht, stehen die Schüler auf und brüllen in einem monotonen Singsang: „THANK YOU, MISS …, FOR TAKING OUR CLASS 8A!“ Superkorrekter englischer Satz am Ende der Englischstunde, denke ich nur und muss grinsen. Nachmittags fragt mich Ramesh, wie ich den Unterricht fand. Ich will mich zurückhalten, denn ich halte es für keine gute Idee, vor den Schülern ihre Lehrer niederzumachen. „Well, it was a little bit …“, beginne ich und ringe nach Worten. „Boring?“, ergänzt Ramesh mich lachend. „Itʼs always like that“, fügt er seufzend hinzu. Was mir leid tut, denn er – und auch viele andere – wollen mehr, wenn man sie nur ließe.
Die Schulstunden sind auf 45 Minuten angelegt. Da ja ein Lehrerwechsel stattfindet, muss die Zeit auch tatsächlich einigermaßen eingehalten werden, und es gibt auch einen Gong, der das Ende der Stunde bekanntgibt. Allerdings kam die Englischlehrerin relativ spät, und auch sonst ist da eher die nepalesische Gemütlichkeit zu spüren. In der nächsten Stunde beispielsweise, Mathe in der 8B, geht der Lehrer zwischendurch raus und unterhält sich mit einem anderen Lehrer. Fast fünfzehn Minuten lang. Schade, denn ansonsten finde ich den Unterricht eigentlich ansprechend gestaltet. Er erklärt gut und bezieht die Schüler ein. Anders als in Deutschland jedoch haben es die Nepalesen nicht so mit Wortmeldungen – da wird einfach rigoros reingebrüllt. Ungewöhnlich für so eine disziplinierte Kultur, aber das scheint eben auch einfach dazuzugehören. Was mir wiederum nicht gefällt: Der Lehrer vermittelt den Schülern eine mathematische Formel, anhand derer sie Beispielaufgaben lösen müssen. Es ist aber so, dass bei jeder Aufgabe ganz penibel die Formel komplett neu abgeschrieben werden muss. So sichern sich die Lehrer, dass sich die Schüler die Formel einprägen, und das ist ihnen ja leider wichtiger, als dass die Schüler wirklich verstehen, wie eine Formel funktioniert. Gerade erst morgens, als ich in Gongabu mit Parvati das 1x8 durchgegangen bin, habe ich wieder die Defizite dieses Lernsystems gemerkt. Ich schrieb glaub ich schon in einem anderen Beitrag, dass die Schüler Mathetabellen einfach auswendig lernen. Das 1x8 steht also im Buch und wird sich eingeprägt, aber nicht verstanden, wie das funktioniert. Mit einem Rechenschieber habe ich versucht, Parvati zu erklären, dass ganz logisch immer weitere acht dazukommen. Immerhin hat sie dann angefangen, mit den Fingern acht abzuzählen, wenn sie zur nächsthöheren Nummer sollte. Aber ich habe festgestellt, dass alle Kids – auch diejenigen, die wirklich gut in der Schule sind – nicht weiterdenken können, was Mathe angeht. Einfach, weil sie das logische System hinter den Zahlen nicht verstehen. Sie wissen also, dass 10x8 80 ergeben – wenn ich dann frage, was 10x80 sind, können sie das nicht benennen, weil sie keine logische Schlussfolgerung ziehen können.
Nach Mathe folgen zwei Stunden „Science“ – ein Querbeet-Mix aus Bio, Physik und Chemie, und auch im Lehrbuch nicht wirklich logisch aufgebaut. Die erste Stunde verbringen wir in der 6. Klasse. Der Lehrer wirkt unglaublich jung, nicht älter als Lukas. Ich finde ihn allerdings ziemlich pfiffig – man merkt vom ersten Augenblick, dass es sich um einen jungen engagierten Mann handelt, der Freude am Unterricht hat, und dem die Schüler am Herzen liegen. Leider werden wir auch hier keine Zeugen seines Unterrichts, weil die Klasse nämlich einen Test schreiben muss, aber immerhin können wir uns währenddessen mit ihm ein bisschen unterhalten. Auch er hält sich strikt an das Konzept: Die Klasse muss die bereits ausformulierten Antworten penibel auswendig lernen und so im Test wiedergeben. Ich kann es ihm nicht zum Vorwurf machen, weil er es einfach nicht anders gelernt hat, aber als er mich nach Unterschieden zum Unterricht im Deutschland ausfragt, erkläre ich ihm das rigoros, und er findet diese Vorgehensweise immerhin interessant. Er äußert sich lobend über viele Kids und hebt besonders hervor, dass die Kids aus unserem Verein grundsätzlich in ihren Noten herausragend sind. Nach dem Test beendet er den Science-Unterricht und lässt stattdessen Lukas und mich berichten, was wir von Nepal halten und wie es uns gefällt. Auch das finde ich eine sehr nette Geste. Das ist auf jeden Fall ein Lehrer, dessen Unterricht ich bestimmt erneut besuchen werde.
Wie ich erst nach der Schule erfahre, ist der Science-Lehrer der 7. Klasse, die wir im Anschluss besuchen, der ältere Bruder von einem unserer Schützlinge, Surendra. Ich würde ihn ja am liebsten dreist über die Familiensituation ausfragen, aber ich glaube, das hebe ich mir eher mal für Navaraj und Ellen auf. :) Jedenfalls ist er auf den ersten Blick genau das, was ich mir unter einem Lehrer dieses Faches vorstelle: Hager, spitze Nase, spitzes Kinn, Nerd-Brille, kariertes Hemd, die kurzen Haare nicht richtig frisiert. Kaum hat er die Klasse betreten, beginnt er mit seinem 40-minütigen Vortrag über drei Chemie-Themen, die, wie Lukas (der sich anders als ich gut mit den Naturwissenschaften auskennt) wohl auch irgendwie zusammenhängen, wobei ich keinen roten Faden erkennen kann. Ich bin zwar beeindruckt von dem Fachwissen, aber der Typ rattert derart schnell, dass nicht einmal ich ihm gut folgen kann. In dieser Klasse sitzt unter anderem auch unsere special Manisha, um deren schulische Leistung ich mich eh sorge, aber ich brauche sie nicht lange zu beobachten, um ihr förmlich ansehen zu können, dass sie kein Wort versteht – weder sprachlich noch inhaltlich. Der Lehrer fragt zwar ständig, ob die Schüler alles begriffen haben, woraufhin ein lautes „YES!“ erfolgt, aber wie viele trauen sich einfach nur nicht, nachzufragen? Immerhin: Er wiederholt zwischendurch auch die ein oder andere Erklärung auf nepalesisch, was ich gut finde. Insofern kommen vielleicht doch mehr als ich erwarte. Komisch finde ich allerdings die ständigen Wiederholungen, bei denen dann die Schüler im Chor mitbrüllen müssen. Also beispielsweise sagt er: „Letʼs say there is water in a glass.“ Eine Sekunde Pause. Dann setzt er erneut an: „Letʼs say there is water in a …“ Alle rufen: „GLASS!“ Und so geht das ständig. Schlimm ist das vor allem, wenn eine komplette Erklärung wiederholt wird, beispielsweise die Definition von einem Elektron. Denn ist die Klasse zwar imstande, einstimmig „glass“ zu sagen, wird das Aufsagen von Erklärungen und Formeln zu einem halbminütigen Tumult, bei dem man einfach überhaupt nicht verstehen kann, ob die Schüler was Richtiges sagen oder nicht. Trotzdem tut der Lehrer das alles mit einem „Good“ ab. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig, aber typisch nepalesisch: Wenn die Schüler etwas für sich lesen, verläuft das nicht ruhig, sondern jeder murmelt es relativ laut vor sich hin. Ich kenne das ja vom morgendlichen Lernen, wenn die Kids auf ihren Bänken hocken und jeder für sich laut lernen, und ich immer nur denke: „Bei diesem Lärmpegel könnte ich mir überhaupt nichts merken …“ Aber das ist halt etwas, was die Kids hierzulande gewohnt sind.
Es ist kurz vor eins, und Lukas und ich wollen uns eigentlich verabschieden, aber natürlich wird darauf bestanden, dass wir etwas essen, also wird uns ein Teller mit Gemüse-Momos vorgesetzt, dazu ein Becher Milchtee. Der stellvertretende Schulleiter gesellt sich zu uns, und wir führen ein ziemlich interessantes Gespräch – denn er beklagt sich über die vielen Defizite des Schulsystems und fragt, was man wohl anders machen könnte. Er sagt, ihm ist bewusst, dass beispielsweise die englische Aussprache der Lehrer eigentlich nicht gut ist – er weiß aber nicht, was man daran ändern kann, aber so wird diese Aussprache natürlich weitergegeben und die Schüler machen es nicht besser. Ich erkläre ihm, dass wir in den westlichen Ländern den Vorteil haben, dass die meisten Jugendlichen irgendwie mal mit Muttersprachlern in Berührung kommen – viele gehen ja doch auch mal nach England oder Amerika, und sei es nur zum Urlaub. Aber die korrekte Aussprache ist eben grundsätzlich kein fremder Klang (auch wenn wir Deutschen teilweise unsere Schwierigkeiten haben, zum Beispiel mit dem „th“). Nepalesen haben das nicht. Ich versuche, ein positives Licht in die Zukunft zu werfen, und dass es vielleicht möglich ist, sofern sich die politische Lage stabilisiert und die Ausreisebedingungen erleichtert werden, Jugendliche und junge Erwachsene nach Australien zu schicken. Gerade erst Sonntag haben Gwen, Leo und ich uns mit zwei Nepalesen getroffen, die in Amerika studieren und deren Englisch wirklich herausragend ist, auch von der Aussprache her. Möglich ist das also durchaus. Ich sage dem stellvertretenden Schulleiter aber auch offen heraus, dass das Lehrmaterial leider sehr fehlerhaft ist und sich die Schüler – mal abgesehen von der Aussprache – keine korrekte Satzstruktur aneignen können, wenn ihnen so viele Grammatikfehler vorgesetzt werden. Ich betone auch, dass es gut wäre, in den höheren Klassenstufen Originalliteratur zu lesen. Ich taste auch vorsichtig an, dass es mir missfällt, dass eben so viel auswendig gelernt wird, ohne dass man es wirklich begreift – denn das gilt ja nicht nur für Mathe, sondern auch für Sprachen. Ein Problem, das ich gut nachvollziehen kann, besteht darin, dass die Lehrer ein wenig Bammel haben, dass ihre Schüler ihre Muttersprache nicht richtig lernen. Nepalesisch sei das Fach, in dem die meisten Schüler am schlechtesten sind, erfahren wir. Dem kann ich entgegenhalten, dass es in Deutschland nicht anders aussieht: Zwar findet der Unterricht auf Deutsch statt, aber wir übernehmen derart viel aus dem Englischen, dass gerade die heutige Jugend ein undefinierbares Sprachgemisch von sich gibt. Hinzu kommt das mangelnde Interesse an Literatur und dass viele deutsche Kinder und Jugendliche mit Büchern gar nichts mehr anfangen können und entsprechend schlecht ihr eigenes Schriftbild aussieht. Von einigen Schülern mit Migrationshintergrund mal ganz zu schweigen, die daheim die eine Sprache hören, in der Schule die andere, und irgendwann bei einem selbstkreierten Mix landen und im Grunde genommen keine Sprache vernünftig sprechen und schreiben können. „Let us know if there is anything we can do to help“, biete ich großzügig an. Leider nimmt er das Angebot sofort an, und prompt werde ich eingeladen, wiederzukommen und einen Englischunterricht durchzuführen. „We need to learn how to improve!“, ruft der gute Mann aus. Ich fühle mich geschmeichelt, aber auch etwas eingeschüchtert. Aber ich sage ihm, dass ich der Bitte gern nachkomme und wir bei einem weiteren Besuch gern etwas planen können. Ich möchte Ellen, die am Montag herkommt, ohnehin ausquetschen, inwieweit sie da involviert ist, denn ich kann mir vorstellen, dass sie auch schon den einen oder anderen Unterricht dort übernommen hat.
Was ist mein Fazit? Vermutlich das, was ich schon etliche andere Male geschrieben habe – dass ich meine Hoffnung in die nächste Generation setze, die wissbegierig am System rütteln will. Und sich hoffentlich traut. Etwas in einem so krass traditionellen Land wie Nepal zu ändern, ist schwer, aber nicht unmöglich, und es bedeutet ja nicht, dass gute Traditioen aufgegeben werden müssen. Aber es schmerzt, in Kindern viel Potenzial zu sehen und zu wissen, dass sie aufgrund ihrer Umstände nur begrenzt imstande sind, es auszuschöpfen.
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