Rückkehr zur Normalität

Mittagessen im Himalayan Java (Nadine und Louisa werden schmerzlich vermisst)
Mittagessen im Himalayan Java (Nadine und Louisa werden schmerzlich vermisst)

Wir sitzen im OR2K. Wir sind erstaunt, dass es überhaupt geöffnet hat – aber in den vergangenen Tagen haben mehr und mehr Shops, Restaurants und Hotels in Thamel geöffnet. Die Besitzer haben vermutlich auch gar keine andere Wahl, denn das Leben muss ja schließlich irgendwie weitergehen. Der Laden ist gerammelt voll mit Touristen, das ganze Viertel relativ gut besucht, aber die Stadt an sich, besonders die ring road, ungewohnt leer. Rund 60 Prozent der Einwohner haben Kathmandu verlassen und sind in ihre Heimatdörfer gefahren, um dort beim Wiederaufbau zu helfen. Gemeinsam die Existenz sichern, darauf kommt es jetzt an. Das Erdbeben ist eine Woche her und fast wie eine unwirkliche Erinnerung. Die Speisekarte ist abgespeckt – aber keiner stört sich daran. Mit einem Bananenlassi oder einer Minzlimonade oder einem Milchtee in der einen Hand und einem Stück Naan mit Baba Ghanoush, Matbucha oder Hummus darauf in der anderen, fühlt sich der Abend angenehm „normal“ an. Fast wie früher. Fast. Die Suchzettel nach Vermissten im Eingangsbereich, die Spendenbox auf einem der Tische, die aufgebrochene Straße vor der Tür legen einen dunklen Schleier über alles. Sicher bemühen wir uns, dass der Alltag wiederkehrt. Aber ganz so wie vor dem Beben kann es gar nicht werden.

 Denn auch wenn das Haus in Dhapasi unversehrt ist und das Haus in Gongabu mit ein paar Rissen davongekommen ist, umgibt uns die Erinnerung überall, in welcher Form auch immer. Und dennoch zeigen uns die Nepalesen, dass das Leben weitergehen muss. „Jeder hat Verluste erlitten“, berichtet eine Frau im Gespräch. „Aber wenn wir nun alle nichts mehr tun und weinend herumsitzen, zerfällt das Land endgültig.“ Und so ziehen viele in ihre Heimat, die übrigen bauen die Hauptstadt wieder auf oder helfen dort, wo sie gebraucht werden.

Nachdem der Strom in Gongabu wieder funktioniert, ziehen die Kleinen zurück. Wir volunteers beobachten dies eher mit einem weinenden als mit einem lachenden Auge. Gewiss sorgen so viele Kinder auf einem Haufen für einen gewissen Lärmpegel, aber zum einen herrschte eine so tolle Gruppendynamik, zum anderen tat es auch uns Helfern gut, zusammenzusein und einander zu stärken. „Uncle, we have one more month of holidays!“, verkündet mir schließlich Himal. Ich kriege schon die Krise, denn eigentlich halte ich es für besser, wenn die Kids auch in ihre tägliche Routine zurückkehren, aber wie wir dann erfahren, halten die Not-Ferien „nur“ bis zum Ende des nepalesischen Januars an, also bis Mitte Mai. Also noch zwei Wochen Freizeit. Jedoch beginnen die Kids wieder, morgens vor dem Frühstück zu lernen und an manchen Tagen auch danach. Ansonsten gestalten wir die Freizeit so locker wie möglich – viele Jungs treiben Ballsport, die Mädchen spielen Badminton oder Karten. Nach dem Mittagessen wird Fernsehen geschaut.

Auf uns volunteers warten ein paar Änderungen. Pia und Nina verlassen uns und fliegen zurück nach Deutschland. Nachdem wir alle spätestens durch die gemeinsamen Tage in Dhapasi nach dem Beben so eine tiefe Verbundenheit verspürt haben, ist der Gedanke komisch, nun nicht mehr vollzählig zu sein. Nächste Woche fliegen Nadine und Louise. Nadines Brüder sind bereits zurück in Deutschland, sie selbst möchte noch ein wenig länger bleiben, damit sie sich gebührend von den Kids verabschieden kann. Ich ziehe wirklich den Hut vor ihr und wie tapfer sie die schwierige Situation verarbeitet.

Zum Schluss möchte ich noch versuchen, meinen Dank zum Ausdruck zu bringen, obwohl es gar nicht die richtigen Worte gibt, um all das zu beschreiben, was in mir vorgeht. Ich bin nicht nur tief bewegt von der enormen Anteilnahme über Facebook und persönliche Nachrichten, sondern auch die regelrechte Flut an Spendenaufrufen, die immer höhere Wellen schlägt. Immer mehr melden sich, immer mehr berichten anderen davon – und sichern damit nicht nur den Kids die weitere Zukunft, sondern helfen somit auch der Familie unseres lieben verstorbenen Gocool und dem Wiederaufbau seines Heimatdorfes. In Schwäbisch-Gmünd, woher Ellen und viele der volunteers stammen, haben schon etliche Zeitungen über die Arbeit des Vereins berichtet. Ehemalige Praktikanten haben innerhalb weniger Stunden ein paar tausend Euro zusammensammeln können. Meiner lieben Schwester Cordel ist es gelungen, dass ein Spendenaufruf in ihrem kompletten Betrieb umherging und rund 26.000 Mitarbeiter erreichte. In der BUNTE-Ausgabe von morgen (Ausgabe 20 vom 7.5.) wird ein Artikel erscheinen, in dem neben der Honorargeneralkonsulin von Nepal auch über das Haus der Hoffnung berichtet wird – und diese Zeitschrift hat immerhin eine Auflage von über 500.000 und über 3 Millionen Leser. Die Resonanz ist also überwältigend. Und wenn ich mit den Kids zusammensitze und sie mir ein Lächeln schenken, bin ich tief berührt, weil ich weiß, dass diese tollen jungen Leute eine Chance haben, etwas aus ihrem Leben zu machen und sich dies über kurz oder lang auch dauerhaft auf ihr Land auswirken wird.

In diesem Sinne … tschüsseli-tschüss! :)

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Kommentare: 4
  • #1

    Gabi (Mittwoch, 06 Mai 2015 19:29)

    Soooo süüüüüüss, das Video :) Danke, Ben, für deine tolle Arbeit und Berichterstattung!

  • #2

    Gabi (Mittwoch, 06 Mai 2015 19:30)

    Hilfe, ich hab die Kommentarfunktion zerstört - keine Ahnung, wie das geschehen konnte ?????? :D

  • #3

    Benny (Donnerstag, 07 Mai 2015 05:22)

    Keine Sorge, Sis, funktioniert noch alles. ;)

  • #4

    Eva (Donnerstag, 07 Mai 2015 10:09)

    ich kann Gabi nur beipflichten!! :-) Alles Liebe und Gute euch weiterhin und genießt jeden Augenblick der Normalität!!!