Es ist vergleichsweise viel Zeit seit dem letzten Eintrag vergangen. Das liegt nicht daran, dass ich keinen Bock oder keine Zeit hatte, aber nachdem die Kids wieder zur Schule gehen, war in den meisten Fällen eine Facebook-Statusmeldung ausreichend, um kundzutun, was uns volunteers derzeit beschäftigt. Den heutigen Blog-Eintrag widme ich daher auch nicht einem Thema, sondern würfle ein paar Eindrücke durcheinander. Ein kleiner Episodenfilm ohne nähere Zusammenhänge, der sich mal ein bisschen von der Arbeit mit den Kids entfernt.
Pashupatinath
Gwen und ich besuchen gemeinsam die Tempelanlage am heiligen Fluss Bagmati, wo die Toten hingebracht und verbrannt werden. Es gibt hinduistische und buddhistische Bestandteile, und die eigentlichen Tempel dürfen wir natürlich nicht betreten, aber ansonsten erleben wir eine detailreiche Tour über das Gelände. Es gibt Verbrennungsstätten für die höheren und für die niederen Kasten. Wir dürfen bei den Verbrennungen nicht nur zuschauen, sondern sogar Fotos schießen, was zwar die Erinnerung einfängt, aber irgendwie trotzdem makaber wirkt (man stelle sich vor, in Deutschland würden japanische Touristen bei einer Beerdigung Fotos machen). Neben (buchstäblich) verrückten Frauen, die herumschreien und tanzen und von der Polizei eingesammelt werden, und unzähligen Rhesusaffen, die zwar an sich friedlich sind, denen man jedoch trotzdem nicht zu nahe kommen sollte, sehen wir, wie ein paar Familien ihre in Tücher eingewickelten verstorbenen Angehörigen im heiligen Fluss waschen und dann auf dem Podest zur Verbrennung bereit machen. Auch erfahren wir, dass nach dem Erdbeben die umliegenden Anwohner ihre Häuser und Wohnungen tagelang verlassen mussten, weil die Rauchentwicklung der Tausenden, die verbrannt wurden, das Leben dort unmöglich machte.
Nepalesen und die Zeit
Das Zeitempfinden der Nepalesen ist immer noch ein Mysterium, das ich eines Tages besser nachvollziehen möchte. Hier ein paar Beispiele, vielleicht könnt ihr euch ja einen Reim darauf machen:
- Ich habe eine Nachhilfeschülerin. Es ist schon vorgekommen, dass sie pünktlich kam oder zehn Minuten zu früh da war, in der Regel kommt sie 20 bis 90 Minuten zu spät. Oder gar nicht. Natürlich ohne abzusagen.
- Ich bin zu 19 Uhr verabredet. Ich kenne den Weg nicht und versuche den ganzen Tag, meinen Kumpel zu erreichen. Erfolglos. Schließlich telefonieren wir um 18:50 Uhr. „Iʼll pick you up in ten minutes“, heißt es dann. Immerhin: Die zehn Minuten sind wirklich zehn Minuten. :)
- Der Bus ins village fährt um 5 Uhr morgens. Wann sollte man am besten aufstehen, damit man pünktlich los kann? Na klar, um 2:30 Uhr.
- Der Bus an einem anderen Tag soll um 6 Uhr starten. „6 Uhr nepalesischer Zeit“, erfahren wir. „Das heißt irgendwann zwischen 6 und 8 Uhr.“
- „Uncle, we have to go now!“ Die Rede davon ist, in der Stadt ein paar Besorgungen fürs village zu machen. Wir stehen nicht unter Zeitdruck oder so. Wir nehmen ohnehin ein Taxi, das wir an der ring road aufgabeln. „Give me five minutes“, erwidere ich, weil ich noch Zähne putzen und auf Klo muss. „No, we have to go now!“, lautet die Antwort. Ich wage es, noch auf Toilette zu gehen, aber als ich nach unten komme, sind Nabin und die beiden Jungs schon losgelaufen. Denn „now“ bedeutet schließlich in dieser Sekunde, und man muss alles stehen- und liegenlassen.
- „How much longer is the trip?“, frage ich auf dem Weg ins village. „At least three hours“, lautet die Antwort. Anderthalb Stunden später sind wir da.
Aber ein liebenswertes Völkchen. :)
Cheesecakegasms
Ich liebe Cheesecakes. Aber ich sage bewusst Cheesecakes und nicht Käsekuchen, weil ich den deutschen Käsekuchen eigentlich gar nicht so lecker finde. Diese dicke Quarkmasse, die im Mund eher mehr wird als weniger, schlimmstensfalls noch feuchte, runzlige Rosinen drin. Der Boden ist zu dünn, die Füllung zu dick und fest. Amerikanische Cheesecakes hingegen haben einen dicken Boden aus Keks und geschmolzener Butter, die Frischkäsefüllung ist zwar enorm süß, aber auch luftig und cremig. Eine richtige Kalorienbombe, bei der man jedoch bei jedem Bissen keinerlei Reue empfindet.
Das Himalayan Java hat sich zu unserem Lieblingscafé entwickelt – es ist durchaus ein Touristenmagnet und von der Auswahl auf Touristen angelegt (Getränkekarte mit Starbucks vergleichbar, gibt aber eben auch eine Speisekarte). Im Vergleich zu anderen Cafés teuer (im Vergleich mit Deutschland natürlich trotzdem spottbillig), aber die Qualität stimmt halt auch. Hier habe ich meinen ersten Cheesecake in Nepal, und er ist genau so, wie ich mir Cheesecakes vorstelle – Konsistenz von der Cremigkeit nahezu perfekt, Boden eigentlich genau die richtige Dicke, ziemlich süß, aber so, dass man das Stück trotzdem problemlos verspeisen kann, ohne dass man im Anschluss das Gefühl hat, man habe soeben zwei Kilo zugenommen. Eine persönliche Challenge von mir besteht nun darin, herauszufinden, ob es irgendwo in Kathmandu einen Cheesecake gibt, der den hier gebotenen toppen kann. Ich weiß gar nicht, weshalb ich mir diese Challenge antue, denn ich werde immer wieder enttäuscht: Der im Roadhouse Café ist kaum genießbar, das, was Hot Breads und die Weizen-Bäckerei abliefern, ebenfalls nicht akzeptabel. Die Tortentheke vom Third Eye entspricht eher meinem Geschmack, der Cheesecake im Café Mitra ist ebenfalls gut, aber trotzdem kein Vergleich zum Himalayan Java. Das Pumpernickel versuchtʼs gar nicht erst und bleibt beim leckeren Bananenbrot, den Versuch des Supermarkt-Cheesecakes sollte ich wohl besser unerwähnt lassen. Doch dann sitzen wir gute zweieinhalb Monate später im Rosemary Kitchen and Café draußen im Garten, genießen einen frischen Salat, Satay-Spieße und Bruschetta, als mir ein Cheesecake serviert wird, der jegliche Sinne zum Entzücken bringt: Die Frischkäsecreme ist noch cremiger, der Boden dicker, ohne dabei zum Störfaktor zu werden – perfekt abgestimmt. Ja, ich muss es einräumen: Dieser Cheesecake ist besser als der vom Himalayan Java, und ich kann es selbst kaum glauben. Ob ich nun wohl einen finde, der besser ist als im Rosemary …? Kaum vorstellbar – aber das dachte ich ja schon mal.
Peer Pleasure
Es ist kaum vorstellbar, dass unsere volunteer-Gruppe von zehn auf mittlerweile vier geschrumpft ist. Ich lieb die anderen heiß und innig – hab mich vor meiner Abreise ja selbst gefragt, wie das so werden würde mit einem Haufen junger Leute, die eben doch deutlich jünger sind, aber ich musste immer an meine liebe Nichte Bekka denken und dass es mir überhaupt nicht schwerfallen würde, mir ihr eine solche Arbeit zu leisten. Insofern sind die anderen wirklich wie Nichten, Neffen oder jüngere Geschwister für mich, und bislang habe ich nicht feststellen können, dass der Altersunterschied irgendwelche Probleme hervorruft. Aber: Natürlich tut es trotzdem auch mal gut, mit Gleichaltrigen etwas zu unternehmen. Inzwischen habe ich über verschiedene Wege locals kennengelernt, mit denen ich mich gut verstehe. Anükram (ich sag immer nur „The Kramster“) hat drei Jahre in den Niederlanden studiert und kennt sich mit der europäischen Kultur sehr gut aus. Er teilt meine Liebe für Game of Thrones, sowohl Bücher als auch Serie. Ujjwal („Ujay“) hat eine Narbe, die von der Oberlippe über die halbe Wange reicht, ihn aber nicht entstellt, sondern eher zur Attraktivität beiträgt. :) Er hat sie sich mit 18 in einem Gangfight geholt und erzählt, dass der Schnitt so groß war, dass man, wenn er den Mund geschlossen hielt, trotzdem seine Zähne sehen konnte. Er nimmt mich immer hinten auf dem Motorrad mit, und wie ich schon bei Facebook schrieb, ist es immer ein besonderes Abenteuer, ohne Helm und weitere Ausrüstung hinten auf dem Motorrad durch Kathmandu zu flitzen. So etwas wie Verkehr gibt es hier ja eigentlich nicht, jeder ist sich selbst der Nächste – aber meine Beziehung zu Gott wird enger, weil ich so viele Stoßgebete zum Himmel schicke … Danny ist Amerikaner, mit dem ich bislang nur einen kurzen Plausch hatte und Nummern getauscht hab. Er lebt seit sechs Jahren in Kathmandu und will mir ein wenig den schwierigen, aber nicht unmöglichen Prozess erläutern, wie man ein längeres Visum als fünf Monate bekommt – wer weiß, könnte ja möglicherweise mal hilfreich sein. :) Saugat ist Origami-Künstler, bastelt aber keine Tiere, sondern Cartoon-Figuren. Himanshu ist für nepalesische Verhältnisse ziemlich wohlhabend und besitzt sogar ein eigenes Auto. Und dann gibt es noch Ajay aus dem hiesigen Mormonenzweig. Mit ein paar Freunden hat er eine kleine Hilfsgruppe gegründet, die nun dank der zahlreichen Spenden, die an den Verein gegangen sind, mitfinanziert werden und Hilfsgüter in Dörfer ausliefern kann. Dieser Gruppe, „Concern Nepal“, liegt nicht nur am Herzen, Lebensmittel zu verteilen, sondern vor allem, ihre Mitbürger zu schulen. „Die Leute müssen begreifen, dass das Erdbeben niemanden getötet hat“, erklärt mir eines der Mädels. „Die unsicheren Häuser, die wir selbst gebaut haben, sind der Grund, weshalb so viele gestorben sind.“ Die Gruppe plant auch Präsentationen in den villages, um die Leute zu schulen, und will beim Wiederaufbau von Schulen und der Einführung in bessere Lehrpläne helfen. Anbei ein paar Fotos von der Aktion in Ghyang, bei der ich „Concern Nepal“ begleitet habe.
Das Leben ist schön. In diesem Sinne … Blumen für alle und bye-bye! :)
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