Update: Ich lebe

Navaraj, Sudeep, Subash, Prakash, Umesh, Ashok
Navaraj, Sudeep, Subash, Prakash, Umesh, Ashok

„Wann postest du eigentlich mal wieder etwas?“, wurde ich mittlerweile ein paar Mal gefragt. Vermutlich zu Recht, mein letzter Beitrag ist schon über einen Monat her. Das Problem, wenn man es so nennen darf, besteht darin, dass sich doch recht schnell die Alltagsroutine eingestellt hat und ich mich oft frage, was ich denn überhaupt „Neues“ berichten kann, worüber ich noch nicht im vergangenen Jahr geschrieben habe. Die Tage fliegen also dahin und des Öfteren denke ich: „Eigentlich geschieht momentan nichts, was die Leser sonderlich interessieren würde.“ Mag aber sein, dass nur ich selbst das so empfinde, daher gibt es heute mal ein buntes Gemisch aus Neuigkeiten. Vielleicht ist ja etwas dabei, was ihr spannend findet, falls nicht, erfreut euch wenigstens an den Fotos. :)

Ich fühle mich hier richtig daheim. Ich genieße es, die Kids immer besser und intensiver kennenzulernen. Mein Tag sieht nicht nur so aus, dass ich in meiner Lernecke sitze (mit den sechs Jungs oben) und bei Hausaufgaben helfe und dann in der Freizeit mit den Kids Karten spiele oder Tischtennis oder Badminton oder das nie langweilig werdende „Uncle, catch me! Uncle, catch me! Uncle, catch me!“ – manchmal sitzen wir herum und unterhalten uns über ernste Themen oder albern herum, bis wir alle vor Lachen auf dem Boden liegen. Viele Momente häufen sich zu etwas Großem auf: Da helfe ich den Jungs bei ihrer Projektarbeit zu Trockenfrüchten (Alter, das dämlichste Thema der Welt!!) und ernte viele Küsse, weil ich jedem eine Seite mit aufgeklebtem und beschriftetem Trockenobst zusammengestellt habe. Da kriegt sich Subash nicht mehr ein vor Lachen, weil wir am Abend zuvor lesen geübt haben und er statt „suitable“ „supertable“ sagte und nun am Morgen in seiner Schulbank ein Bild von einem Tisch mit einem roten Cape vorfindet, betitelt mit „Supertable to the rescue“. Da üben Jamuna und Ganga Zahlen schreiben und kreischen nach jeder vollendeten Zahl aufgeregt „Uncle! Uncle!“, damit ich auch ja hinschaue und sie kräftig dafür lobe. Wie könnte ich mich da nicht als Teil einer großen Familie fühlen? Wenn ich abends den großen Jungs Gute Nacht sage, umarmt mich Bishal immer und sagt: „You are my brother from a different mother.“ Ja, das trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf.

Die Kids haben gerade ihre ersten Zwischenprüfungen beendet, die sich über insgesamt neun Tage erstreckt haben. Für jedes Schulfach muss eine Prüfung absolviert werden (ca. drei Stunden), dafür ist der Schultag dann etwas kürzer (bis 12:30 Uhr statt 15:30 Uhr). Morgens, nachmittags und bei den Großen sogar abends wurde eifrig (oder auch weniger eifrig) dafür gepaukt. Ich saß daneben oder ging herum – oft konnte ich lediglich die Aufgabe übernehmen, sie das Gelernte abzufragen, bei Fächern wie Englisch natürlich auch ein bisschen konstruktiver mit ihnen lernen, was aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Schulbücher manchmal eine Qual war. Wie auch sonst gilt hier: Auswendig lernen steht über Verständnis. Jede Klassenstufe hat tatsächlich ein Buch, in dem alle Fragen stehen, die bei der Prüfung drankommen könnten – zwar mehr als es dann wirklich sind, aber es gibt wenigstens keine bösen Überraschungen. Die bestehen eher darin, dass ich mit den Acht- und Neuntklässlern Grammatikübungen durchgehe, die keinen Sinn ergeben. Teilweise erklären sie mir, was der Lehrer dazu gesagt hat, und ich muss dann echt so etwas sagen wie: „Gut, dann nimm das für die Prüfung als Antwort, aber merk dir bitte, dass es soundso in Wirklich richtig wäre.“ In Science (Kombi aus Bio, Chemie und Physik) kommen Fragen zur körperlichen Entwicklung als Teenager dran, was bei den Jungs natürlich für viel Gegacker sorgt. Gibt halt auch Dinge, da unterscheiden sich nepalesische Jugendliche ganz und gar nicht von Jugendlichen sonstwo auf der Welt.


Auch ich pauke

Auch mir persönlich stehen aufregende Zeiten bevor: Ich habe mich am Bishwa Bhasha Campus eingeschrieben, dem Sprachzweig der Tribhuvan-Universität, und werde ab Ende Juli einen nepalesischen Sprachkurs absolvieren. Zum einen habe ich dadurch ein Studentenvisum ergattert, das mir einen längeren Aufenthalt ermöglicht (und das pro Semester verlängert werden kann), zum anderen erlange ich hoffentlich ein paar Einblicke in die hiesige Sprache und kann dann vielleicht sogar mit unseren Kleinen, die noch nicht sonderlich gut Englisch sprechen, vernünftiger kommunizieren. Die Zeit wird es zeigen. Aber wer denkt, das sei alles kein Problem gewesen und ich habe mich dort halt eingeschrieben und das Visum erhalten, der werde eines Besseren belehrt: Ich dachte schon, die deutsche Bürokratie sei zum Kotzen, aber was ich hier an Behördengängen erledigen musste, war echt nicht mehr witzig.

Teilweise hatte ich Glück im Unglück: Die Dame auf dem Campus, die für alles Administrative des nepalesischen Sprachkurses zuständig ist, ist leider eine Klischeebeamtin, wie sie im Buche steht. Offizielle Öffnungszeiten des Büros sind 10 bis 16 Uhr, aber sie kommt und geht nach Lust und Laune. Einmal hatte ich einen einheimischen Kumpel dabei, der dann ihre Telefonnummer erfragte, sie anrief und als Antwort bekam: „Ja, äh, ich bin gerade nicht auf dem Campus. Ich weiß auch noch nicht, ob ich heute erscheinen werde.“ Da sie aber bei meinem ersten Besuch mit Abwesenheit glänzte, geriet ich rein zufällig an den Campus Chief, einen durchaus hilfsbereiten älteren Herren, der sich meiner annahm, mir das aufwändige Prozedere erklärte und mir ein paar Wochen später sogar persönlich meine Unterlagen abnahm. Aber nur, damit ihr mal wisst, was mit so einem Sprachkurs an einem ranzigen College verbunden ist:

  • Zunächst einmal muss man zur deutschen Botschaft und sich ein Empfehlungsschreiben ausstellen lassen (kostet umgerechnet 30 Euro). Dafür kann man einen kompletten Vormittag einplanen.
  • Als Nächstes muss man ein nepalesisches Bankkonto eröffnen und darauf einen Betrag von ca. 1300 Euro vorweisen (wenn man ein Semester studiert; wenn man verlängert, muss man dann den doppelten Betrag drauf haben).
  • Dann geht man zur Bank und zahlt an den Campus eine Gebühr von ca. 4 Euro; dafür erhält man dann die Bewerbungsunterlagen. Die Semestergebühren betragen ungefähr 450 Euro (fürs erste Semester, das zweite kostet dann „nur noch“ 270 Euro – also  insgesamt 800 US-Dollar für ein Jahr Studium); nur mal im Vergleich: Die Einheimischen zahlen am selben Campus für ihre Kurse 2000 Rupien pro Semester – das sind weniger als 20 Euro. Tja, dann nehme ich Depp doch einfach an, dass ich zur Bank gehe und den Betrag in nepalesischen Rupien einzahlen könnte. Vor Ort erfahre ich, dass ich die Semestergebühren in US-Dollar einzahlen muss. Ja, bekommt mal 500 Dollar so eben her in Kathmandu … Das war eine Odyssee, die (ich scherze nicht) bei dem Onkel eines Kumpels endete,  ein reicher Geschäftsmann mit Verbindungen zu korrupten und kriminellen Organisationen. Ein äußerst freundlicher Mann mit Glatze und Goldkettchen, der mit interessiert viele Fragen stellte, mir über drei Handlanger die Dollar zusammenkratzte und mich des Weges schickte. Nee, über den will ich gar nicht Näheres erfahren, glaub ich …  :)
  • Passkopien, Passfotos und so weiter erklären sich von selbst. Natürlich alles in dreifacher Ausfertigung.
  • Alle Nachweise gibt man inklusive (zweifach ausgefüllter) Bewerbung ab. Im Idealfall erhält man dafür einen Beleg. War bei mir nicht so. Als ich einen Monat später dort im Büro auftauche, ist besagte Dame tatsächlich mal anwesend. Ich bin sogar der einzige vor Ort, aber sie ignoriert meine drei „Excuse me“s eisern. Also setze ich mich auf den leeren Stuhl ihr gegenüber. Seelenruhig öffnet sie ihre große Handtasche und holt eine originalverpackte Thermoskanne heraus, die sie erst einmal genüsslich öffnet, bis sie schließlich den Blick hebt, mich anschaut und sagt: „Yes, what do you want?“ Ich will doch nur eines: Wissen, ob ich überhaupt eingeschrieben bin. Na gut, und wie das mit dem Studentenvisum nun läuft. Richtig äußern tut sie sich nicht dazu, nur, dass ich mir wohl drei Wochen später ein Empfehlungsschreiben abholen kann, mit dem ich mir dann beim Department of Immigration das Visum hole. Ich tauche aber einfach schon zwei Wochen später wieder auf, fest entschlossen, mich nicht abwimmeln zu lassen. Und diesmal sehe ich tatsächlich die Kursliste mit meinem Namen, werde von ihr ausgeschimpft, weil ich ja nie gekommen bin, um mir meinen Eingangsbeleg abzuholen und bekomme endlich das Empfehlungsschreiben in die Hand gedrückt.
  • Nun brauche ich – mal wieder – Kopien meines Passes und meines Touristenvisums, einen Bankauszug (aber keinen selbst ausgedruckten, nein, ich muss zur Bank an den Schalter, was mich wieder Gebühren kostet) und kann mich schon mal darauf einstellen, dass ich für das Studentenvisum satte 50 US-Dollar pro Monat (!) zahlen darf (insgesamt noch mal fast 400 zusätzliche Euro). Im DoI muss ich zunächst an den Automaten unten, um eine „Online Application“ auszufüllen. Das kenne ich schon von der Verlängerung des Touristenvisums, das ist nur eine Sache von zwei Minuten – es sei denn natürlich, man hat vor sich zwei chinesische Familien (entschuldigt den unterschwelligen Rassismus), die für vier solcher Anträge eine Dreiviertelstunde brauchen. Es geht hoch zur zuständigen Stelle. Die Dame ist zumindest relativ freundlich und erklärt mir das weitere Prozedere; zunächst einmal muss ich mir eine Unterschrift abholen. Ich weiß bis heute nicht, wer der Typ ist, aber er scheint wichtig zu sein – und stellt mir viele kritische Fragen. Was will ich eigentlich hier? Was mache ich? Wieso habe ich mich für diesen Kurs entschieden? Wo wohne ich? Habe ich etwas angemietet? Na ja, einfach lächeln und ehrlich sein, und schließlich habe ich die Unterschrift, gehe runter und zahle die happige Visumsgebühr, laufe wieder hoch in den zweiten Stock, gebe alles ab, warte eine Viertelstunde … und ta-daaa! Ich habe das Studentenvisum im Pass.

Es wird behauptet, bei einer Verlängerung sei das alles weniger aufwändig. Warten wir’s mal ab.


Nektar und Ambrosia

Nun folgt ein vergleichsweise banales Thema, aber ich habe ich in meinem Blog jemals von Momos geschwärmt? Momos sind die nepalesische Variante von Maultaschen oder Ravioli, also kleine gefüllte und kunstvoll gefaltete Teigtaschen, die entweder gedämpft oder frittiert werden. Momos sind eigentlich aus keinem einheimischen Lokal wegzudenken und überhaupt das beste Beispiel dafür, dass das Teuerste oft nicht das Beste ist – denn die Restaurants bieten zwar recht schmackhafte Momos an, die dann umgerechnet ungefähr 1,50 bis 2 Euro kosten (zehn Stück), aber bei uns unten am Hügel haust in seinem Garagenlokal Momo Man, unser Freund und Helfer, der wirklich die besten Momos anbietet, die wir volunteers kennen – Lenny und Konni haben sich zum Abschied mit ihm fotografieren lassen und den Ausdruck eingerahmt, der nun bei Momo Man stolz im Lokal hängt. Man stelle sich das so vor: Hinter dem Garagenrolltor befindet sich links eine kleine Kochstelle – zum einen eine Gasplatte, auf der ein großer Garer steht, in dem die Momos gedämpft werden, zum anderen eine kleine Kochplatte, die für Chowmein (ein einheimisches Nudelgericht) genutzt wird, daneben ein Kühlschrank für Getränke und Zutaten. Rechts drei klapprige Tische samt klapprigen Bänken; wenn die Plätze ausgeschöpft sind, darf man auch aufs Hinterzimmer ausweichen, wo nach ein Tisch steht. Die Speisekarte besteht aus einem A4-Blatt, das an der Wand hängt: Buff Momos, Chicken Chowmein, Buff Chowmein, Egg Chowmein. Milchtee. Coke/Fanta/Slice (eine köstliche Mangolimo). Das war’s. Die Töpfe und Pfannen sind verranzt, die Bude recht dreckig und unansehnlich, außerdem gibt es keinen gemütlicheren Ort, wo wir unsere Momos würden einnehmen wollen. Das Geheimnis, weshalb es hier so gut schmeckt, besteht vor allem in der Momosoße, die bislang unübertroffen geblieben ist. Typische Zutaten sind Tomaten, gemahlene Erdnüsse (alternativ Sesam), Knoblauch, Chili, Masala, viel Koriander … Aber natürlich macht’s die Mischung, und Momo Man hat’s drauf. :) Und: Hier zahlen wir für eine Portion Momos 80 Rupien – das sind nicht einmal 70 Cent.

Wir haben uns auch schon selbst an Momos versucht. An sich ist das gar kein aufwändiges Gericht, aber wenn man für viele kocht, dauert die Vorbereitung schon seine Zeit – das liegt aber vor allem an der abgespeckten Kücheneinrichtung. Stumpfe Messer, keine Teigrührer, nur ein oder zwei Herdplatten. Der Momoteig besteht nur aus Mehl, der mit Wasser und ein bisschen Öl zu einem Teig verarbeitet wird. Daheim dauert das mit dem Rührer ungefähr zehn Minuten – hier sitze ich am Boden und knete eine gute Dreiviertelstunde, bis er wirklich glatt und weich ist. Das geht richtig in die Oberarme. Auch die Füllungen – ob nun eine vegetarische Mischung aus Möhren, Kohl, Rettich, Zwiebeln und Gewürzen oder nicht-vegetarisch aus Büffelhack mit Gewürzen – brauchen ihre Zeit. Die eigentliche Kunst ist aber das Falten. Es gibt zig verschiedene Formen – Halbmonde, runde Momos, Raupen und viele mehr – und die Nepalesen falten die Dinger so schnell und geschmeidig, dass man gar nicht hinterherkommt. In der Galerie sieht man unsere leicht krüppeligen Ergebnisse – auch im Vergleich zu dem, was man im Lokal aufgetischt bekommt. Aber lecker ist es allemal, egal wie es aussieht.


Zeit heilt (viele) Wunden

Auf Facebook habe ich schon den Beitrag vom Haus der Hoffnung weitergeleitet, der ein bisschen thematisiert, in welch kurzer Zeit in unserer Einrichtung wahre Wunder geschehen können. Ich habe ja von den vielen Neuankömmlingen berichtet, die Anfang April zu uns gestoßen sind. Es ist doch ganz erstaunlich, was nur wenige Wochen in einer sicheren Umgebung mit einem warmen Bett und geregelten Mahlzeiten und viel Aufmerksamkeit bewirken können … Mich faszinieren jedenfalls jeden Tag aufs Neue, welch fröhliche Gesichter mich erwarten, die vor nicht allzu langer Zeit noch ganz und gar nicht fröhlich waren. (Ich möchte nur hervorheben: Die „Vorher“-Fotos sind keine Zufallsaufnahmen, bei denen die Kinder zwischendurch mal grimmig oder traurig geschaut haben. Sie spiegeln wirklich den Zustand der Kids bei ihrer Ankunft wieder.)


Ihr habt immer noch nicht genug? Nun denn, dann erfreut euch an einer Runde „Bennys Jungs entdecken Snapchat und InstaBeauty“. Auch das hat für einige Lachtränen gesorgt. Bis zum nächsten Mal! ;)

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Kommentare: 1
  • #1

    Bekka (Freitag, 08 Juli 2016 18:59)

    Ich vermisse unsere Momo Man und seine einzigartigen Momos..!