Es gibt diverse Legenden um Holi (होली), das hinduistische Fest der Farben. Bei der bekanntesten geht es um Prinz Prahlada, einen treuen Anhänger von Vishnu, wiederum einer der wichtigsten hinduistischen Götter. Der Vater des Prinzen, König Hiranyakashipu, verehrte die Asuras, dämonische Geister, die ihm die besondere Fähigkeit verliehen, dass nahezu nichts und niemand ihm etwas anhaben konnte. Daher verlangte er, dass man ihn als Gott verehrte, doch sein eigener Sohn wollte Vishnu treu bleiben. Hiranyakashipu bestrafte Prahlada, doch keine Strafe rüttete an der Ergebenheit des Prinzen. Schließlich hatte Hiranyakashipus böse Schwester Holika die Idee, sich mit dem Prinzen auf einen Scheiterhaufen zu setzen. Sie besaß einen Zaubermantel, der sie vor Feuer schützte, aber als die Flammen emporstiegen, riss sich der Mantel von ihr und umhüllte den Prinzen. So ging Holika selbst im Feuer zugunde, wohingegen Prahlada überlebte.
Die Gabe der Asuras besagte, Hiranyakashipu könne weder von Mensch noch von Tier getötet werden, weder innen noch außen, weder bei Tag noch bei Nacht, weder von übernatürlichen Kräften noch von physischen Waffen und weder an Land noch im Wasser noch in der Luft. Also nahm Vishnu die körperliche Gestalt von Narasimha an, einem Avatara, der halb Mensch, halb Löwe war (also weder Mensch noch Tier), holte Hiranyakashipu am Morgengrauen (weder Tag noch Nacht) auf eine Türschwelle (weder innen noch außen), legte ihn auf seinen Schoß (weder Land noch Wasser noch Luft) und zerriss ihn mit seinen Löwenklauen (weder übernatürliche Kraft noch physische Waffe). Am Abend vor Holi sieht man also verschiedene Feuerstätten, die den Sieg von Prahlada über Hiranyakashipu symbolisieren, aber auch das Feuer, in dem Holika verbrannte.
Was man mit Holi jedoch am meisten verbindet, ist das Schmeißen von Farben und Wasserbomben (oder beides gemischt), was auf die Legende des Hindu-Gottes Krishna zurückgeht, der als Kleinkind blaue Haut bekam, weil eine Dämonin ihn mit ihrer Muttermilch vergiftete. Als er sich in die wunderschöne Radha verliebte, hatte er Angst davor, sie würde ihn ablehnen, aber seine Mutter riet ihm, Radha Farbe ins weiße Gesicht zu schmeißen. So wurden die beiden ein Liebespaar. Dass man sich gegenseitig mit Farbe bewirft, soll also Zuneigung zum Ausdruck bringen, auch wenn es heutzutage natürlich vor allem um den Spaß geht, der damit verbunden ist.
Am Abend vor Holi bekomme ich Besuch! Ich freue mich riesig, dass meine Tante Angelika und ihr Mann Chris, die derzeit in Peking wohnen, einen einwöchigen Abstecher nach Kathmandu machen, kommt ja selten genug vor, dass mich jemand besucht und ich meine zweite Heimat präsentieren darf (dies ist ein Vorwurf an alle Leser). Dass Angelikas und Chris’ erster Tag in Neal nun derart verrückt ist, hätten sie wohl selbst nie geglaubt. Ich freue mich schon seit geraumer Zeit auf Holi, da ich sowohl vergangenes Jahr als auch 2015 das Fest knapp verpasst habe. Einen kleinen Vorgeschmack habe ich schon zwei Tage vorher bekommen, als unser Lieblingspraktikant Anton abreiste und zur Feier des Tages ein Mini-Holi bekam. Heute hingegen geht es weitaus wilder zu: Schon auf dem Weg zum Hotel, wo Angelika und Chris untergebracht sind, und dann zurück zum Haus werden wir munter von den Dächern der Häuser mit Wasserbomben beschmissen und im Vorbeigehen mit Farbe beschmiert. Kaum treffen wir ein, ruft mir Navaraj nur „Happy Holi!“ zu, ehe er mich mit einem riesigen Eimer Wasser übergießt. Die Kinder sehen aus wie Gemälden von Jackson Pollock entsprungen, manche schlottern bereits, denn sonderlich warm ist es heute nicht und sie triefen von Kopf bis Fuß. Dennoch toben wir munter eine Weile, ehe wir uns in die Sonne setzen und ein bisschen trocknen lassen.
Die Kinder werden ausgiebig geduscht, und wir volunteers machen uns schließlich auf in die Stadt. Am Durbar Square soll die Post abgehen, heißt es, allerdings habe ich schon von ehemaligen Praktikanten gehört, dass es teilweise recht beängstigend ist, denn die ohnehin nicht berührungsscheuen Nepalesen verlieren dort wohl bei diesem Fest sämtliche Hemmungen, was natürlich auch dem Alkohol zu verschulden ist, der heute in Massen fließt, besonders auch unter der jüngeren Generation. Dies ist tatsächlich auch deutlich spürbar. Einen solchen Massenauflauf habe ich bislang noch nicht erlebt, jeder brüllt mit heiserer Kehle: „HAPPY HOLI!“, ständig hat man Hände mit neuer Farbe im Gesicht, die inzwischen etliche Schichten gebildet haben muss. Nun ist das alles als Mann ganz gut erträglich, aber die Mädchen werden wirklich rigoros begrabbelt, und ein paar Praktikantinnen entfliehen dem Chaos verständlicherweise schnell. Glücklicherweise beschränken sich die Scharen vor allem auf die Farbe und werfen wenig mit Wasser, denn die ganze Zeit klitschnass herumzulaufen, würde (vor allem bei den heutigen eher kühlen Temperaturen) den Spielspaß erheblich senken. Die Gruppe bleibt auch nicht zusammen; notgedrungen werden Angelika, Chris und ich mit einem weiteren Praktikanten vom Rest getrennt und lassen uns schließlich nach einem anstrengenden „Spaziergang“ durch die Massen in einem ruhigen Restaurant in einer Seitenstraße von Thamel nieder, wo wir verschnaufen und etwas essen.
In etwa drei Wochen ist es schon ein Jahr her (!!!), dass ich nach Nepal zurückgekommen bin. Und ohne Frage ist Holi einer der verrücktesten Tage, den ich hierzulande erlebt habe – und spiegelt dennoch für mich perfekt wider, wie die Nepalesen sind: mit farbenfrohem Gemüt und guter Laune durch und durch.
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