Kathmandu Fun Park

Ich muss im Laufe der ersten Woche unweigerlich an die Erdbebenzeit im vergangenen Jahr zurückdenken, als jeden Tag alle Kinder auf einem Haufen hockten. Natürlich ist die Situation viel entspannter, an Beben denkt keiner, und auch die Ferientage sind relativ strukturiert: Von 6 Uhr bis 7:30 Uhr study time, danach morning exercises (mittlerweile trennen wir die beiden Gruppen eben aufgrund der gewaltigen Größe). Dann essen zuerst die Kleinen, anschließend die Großen. Den Vormittag über wird gespielt und gesportelt, nach dem Mittagessen dürfen die Kids einen oder zwei Filme anschauen. Für den Nachmittag soll eine „besondere“ Aktivität angeboten werden, die meist wir Praktikanten vorbereiten – Gruppenspiele, Schnitzeljagden oder Ähnliches. Abends vor dem Essen wird auch mal eine Geschichte erzählt. Am 12. April, dem nepalesischen Silvester, ist aber etwas ganz Besonderes geplant: Ein Ausflug in den Kathmandu Fun Park, einem kleinen Vergnügungspark im Stadtzentrum. Von der Idee her ähnelt die Anlage eher einem kleinen Rummel, denn neben einem Eintrittspreis muss man für jedes Fahrgeschäft separat zahlen (umgerechnet zwischen 25 und 60 Cent). Die Kinder werden in Gruppen unterteilt, jedem wird ein strikter Geldbetrag zugewiesen, die Kohle selbst wird natürlich von den Gruppenleitern (also uns volunteers, der Hausleitung sowie ein paar Apartment-Jungs) verwaltet. Dipendra und ich kümmern uns um die jetzigen Zehntklässler, also die seit kurzem ältesten Kinder im Haus. Nach dem Dal Bhat kommen alle Gruppen zusammen, verstauen Wasserflaschen in Rucksäcken, dann geht es den Hang runter, wo zwei angemietete Schulbusse auf uns warten.

Einen Europa- oder Heide-Park habe ich keineswegs erwartet, weder von der Größe noch von der Qualität der Fahrgeschäfte. Aber etwas skeptisch bin ich dann trotzdem, als ich die ganzen verrosteten Teile erspähe, in die wir uns wagen sollen. Zunächst einmal laufen wir ein bisschen durch den Park, denn um 10 Uhr wurde zwar aufgemacht, aber kein einziges Fahrgeschäft ist schon bereit. „When do they open?“, frage ich Hausleiter Navaraj, woraufhin er grinst und ich schon ahne, dass die Frage überflüssig war. „10 am Nepali time“, erwidert er nur lachend. Also begeben wir uns erst einmal zu dem kleinen Spielplatz und die Kids erfreuen sich an Rutsche, Schaukel und Drehkarussell – man bedenke, dass es so etwas wie öffentliche Spielplätze in Kathmandu nicht gibt. Insofern sind sogar solche Geräte selbst für die größeren Kids ein riesiger Spaß. (Übrigens hat das Panorama-Foto oben nicht ganz geklappt und ich habe ein paar Kids zu Mutationen gemacht, sorry :D.)

Ich lade die Zehntklässler auf ein Eis ein, damit das Warten erträglicher wird, es steht sogar Cornetto drauf, aber was drin ist, kann ich nicht so richtig erfassen. Schließlich jedoch machen endlich die Autoscooter auf, worauf sich die älteren Jungs eh am meisten gefreut haben. Akribisch muss ich aufschreiben, wem ich wie viele Tickets kaufe, denn jeder bekommt ja nur einen Teil vom Gesamtbetrag abgezwackt. Mittlerweile füllt sich der Park auch sehr gut, und ein Fahrgeschäft nach dem anderen macht auf – Riesenrad, Schiffsschaukel, Achterbahn. Alle machen Geräusche, bei denen man befürchtet, dass gleich eine Explosion erfolgt; bei irgendeinem ride muss der Techniker einen völlig verranzten Hebel unter großer Anstrengung die ganze Zeit hochhalten, damit das Teil überhaupt läuft. Den Begriff „ride“ verwenden die Nepalesen übrigens nicht, sondern sagen niedlicherweise „game“, und wenn sie in ein Fahrgeschäft wollen: „Uncle, I wanna play this one!“ Ich erbarme mich dann selbst und fahre mit ein paar Kids mit etwas, das so ähnlich aussieht wie ein Paratrooper. Manita sitzt neben mir – zunächst müssen ja alle Zweiersitze langsam aufgefüllt werden, da hat sie noch ihren Spaß, aber als es dann richtig flott wird, beginnt sie hysterisch zu kreischen und um ihr Leben zu bangen. Ich nehme ihre Hand und weinend presst sie sich von links an mich. „Uncle, I will fall“, ruft sie in ihren Schreipausen. Ich selbst muss leider lachen. Allerdings nimmt die Fahrt gar kein Ende mehr – es vergehen bestimmt fünf, sechs Minuten, ehe es wieder langsamer wird, und mittlerweile ist mir selbst ein wenig übel und schwindelig geworden. „No more games for Ben Uncle“, nehme ich mir vor und hocke mich in die Sonne (mit Kopfschutz, Mama, wirklich!) und händige Geld aus, wenn es gebraucht wird. (Small) Sujan fährt ausschließlich Autoscooter, die Mädels halten sich gar zurück und wollen in kaum ein Fahrgeschäft. Ich habe Spaß, aber es ist heiß, laut und anstrengend, und ich habe neuen Respekt vor Lehrern, die mit Klassen à 25 oder 30 Schüler solche Ausflüge machen, mir reichen schon die acht Kids, für die ich und Dipendra zuständig sind. Ich bin also nicht undankbar, als es ein paar Stunden später Richtung Bus geht. Auf dem Heimweg machen wir noch einen Abstecher ins Café King, einem einheimischen Lokal, den ich letztes Jahr schon nicht so dolle fand, aber Ellen erklärt, dass die Ausflüge in den Fun Park traditionsgemäß hier beendet werden. Vier bis sechs Kinder hocken an einem Tisch und dann werden nacheinander Speisen wie Momos, Chow mein und Pizza serviert, die die Kids daheim ja nie bekommen – und gerade Momos (kleine pikant-gefüllte Teigtaschen, ähnlich wie Maultaschen) gelten als das Lieblingsessen vieler Nepalesen. Bei denen kann man zum Glück auch nicht viel falsch machen; die Pizza ist wie bei den meisten einheimischen Imbissen eher ungenießbar, da in der Regel keine Tomatensoße verwendet wird, sondern Ketchup, und oft muss sie in der Pfanne zubereitet werden, weil keine Öfen vorhanden sind, und trieft dann nur so vor Fett. Aber den Kids schmeckt alles hervorragend, und darum geht es doch letzten Endes. Geschlaucht sind wir alle dennoch, als wir schließlich heimkommen. Ein paar volunteers machen sich abends sogar noch auf, um zu einer Silvesterparty zu fahren, dazu bin ich zu müde, und erfahrungsgemäß ist der Jahreswechsel hierzulande auch kein so großes Event wie bei uns im Westen. Trotzdem wünsche ich natürlich allen von ganzem Herzen ein frohes neues Jahr 2073 und bin gespannt, was es für die Kinder – und auch für mich – bereit hält. Einen guten und spaßigen Jahresabschluss gab es ja schon mal.

 

Und für alle, die es brennend interessiert: Durchfall und schwarze Popel sind wieder da! Nun bin ich also wirklich zurück.

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